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Aus: Ausgabe vom 12.02.2025, Seite 1 / Titel
Berufsverbote

Keine Marxistin ist illegal

Bayern: Berufsverbot für Lehramtsanwärterin Lisa Poettinger. Der Klimaschutzaktivistin wird ihre antikapitalistische Einstellung vorgeworfen
Von Nick Brauns
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Lisa Poettinger auf einer Demonstration in München (19.10.2021)

Nun ist es amtlich: Die Münchner Klimaschutzaktivistin Lisa Poettinger darf nicht Lehrerin werden. Weil sie sich der marxistischen Analysemethode bedient und in einem antikapitalistisch orientierten Klimaplenum engagiert, zweifelt das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus an der Verfassungstreue der 28jährigen. »Die Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Gymnasien zum Termin Februar 2025 wird Ihnen untersagt« – so lautete der Bescheid, der Poettinger am Dienstag zugestellt wurde. In einer knappen Woche hätte ihr Referendariat beginnen sollen.

Begründet werde das Berufsverbot in dem 105seitigen Schreiben nahezu ausschließlich unter Bezugnahme auf Stellungnahmen des Verfassungsschutzes, berichtet Poettingers Anwältin Adelheid Rupp gegenüber jW. Einige Stilblüten daraus: In einem Interview hatte Poettinger die Internationale Automobilausstellung (IAA) als Symbol für Profitmaximierung auf Kosten von Mensch, Umwelt und Klima bezeichnet. Dazu heißt es im Bescheid: »Nach Mitteilung des Verfassungsschutzes vom 5.11.2024 stammt der Begriff der ›Profitmaximierung‹ aus dem Kommunismus und wertet Gewinnstreben in der Wirtschaft ab.« Und weiter: »Mit ihren Ausführungen üben Sie nicht nur Kapitalismuskritik, sondern sprechen sich für Antikapitalismus aus.« Auch das »Eintreten für den ›Klassenkampf‹« sei mit der »freiheitlichen demokratischen Grundordnung« nicht vereinbar, denn laut Inlandsgeheimdienst sei dies »synonym für die Forderung nach Abschaffung des Kapitalismus« und damit der Demokratie. Diese Rechtfertigung des Berufsverbots erinnert an die Begründung von Inlandsgeheimdienst und Berliner Verwaltungsgericht zur Nennung der Tageszeitung junge Welt im Verfassungsschutzbericht. Dabei sei es ein Konstrukt, wonach das Grundgesetz und die bayerische Verfassung das kapitalistische System vorschreiben, so die Juristin Rupp. Die Festlegung auf eine bestimmte wirtschaftliche Ordnung sei dort bewusst herausgehalten worden.

Selbst aus ihrer Verwunderung über die Einstufung ihres Engagements als »linksextremistisch« wird Poettinger ein Strick gedreht. Denn dies zeige, dass ihr die für Pädagoginnen notwendige Bereitschaft zur kritischen Selbstreflexion fehle, heißt es aus dem Ministerium. Poettinger hatte sich die rechtskonservative Landesregierung im Januar 2024 zur Feindin gemacht, als sie als Versammlungsleiterin einer Großkundgebung »Gemeinsam gegen rechts« die Teilnahme von CSU-Ministerpräsident Markus Söder für unerwünscht erklärte und daraufhin von der Springer-Presse als »Extremistin« an den Pranger gestellt wurde.

»Wer sich in seiner Freizeit für Klimaschutz und Demokratie engagiert und dabei auch noch Begriffe verwendet, die der Staatsregierung nicht gefallen, kann in Bayern für charakterlich ungeeignet erklärt werden, Kindern Englisch beizubringen«, kommentierte Poettinger das Berufsverbot, das sie als gravierenden Angriff auf die Grundrechte der Ausbildungs- und Meinungsfreiheit bezeichnet. Nun werde Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht, um die skandalöse Entscheidung zu kippen, kündigte ihre Anwältin an.

Dass es bei verdienten Staatsdienern auch anders gehen kann, hatte das Münchner Amtsgericht im Dezember bewiesen. Bei der Verurteilung eines Feuerwehrmanns wegen Vergewaltigung sah das Gericht ausdrücklich von einer höheren Strafe ab, da der Angeklagte sonst seinen Beamtenstatus verloren hätte.

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  • Leserbrief von Hans-Hermann Bohrer aus Losheim am See (12. Februar 2025 um 16:53 Uhr)
    Am kommenden Freitag finden bundesweite »Fridays for Future«-Demos gegen den Klimawandel statt. Wäre doch eine prima Gelegenheit, dort Solidarität mit Lisa Poettinger zu bekunden, indem man den schändlichen Umgang der bayrischen Behörde mit ihr in den Redebeiträgen thematisiert. Ich habe allerdings wenig Hoffnung, dass dies in nennenswertem Ausmaß passieren wird, denn der Großteil der FFF ist aufgrund ihrer Sozialisation unpolitisch.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Oliver S. aus Hundsbach (12. Februar 2025 um 16:06 Uhr)
    In diversen bürgerlichen Portalen ist heute zu lesen, dass Trump zukünftig Papierstrohhalme verbieten will und möchte, dass wieder Plastikstrohhalme produziert werden. Klar ist diese Schrulle Trumps, die dazu führt, dass noch mehr Mikroplastik in die Ozeane gelangt, fast nur eine Marginalie in Anbetracht einer nicht vorhandenen »Klimapolitik«, die den Planeten peu à peu in den Abgrund treibt. Es reicht nicht, dass »Klimaterroristen« von aufgebrachten »Proleten« von der Straße gerissen, verbal und körperlich misshandelt werden. Menschen wie Lisa Poettinger und andere Aktivisten, die das einzig Richtige zu diesem Thema sagen und tun, werden von einem Staat kriminalisiert und wirtschaftlich ruiniert, dessen Aufgabe es wäre die Menschen vor Gefahren und Katastrophen zu schützen. Die obszöne Unverhältnismäßigkeit dieser Maßnahme gegen Lisa ist nicht allein der Skandal. Der Skandal ist vor allem das Ausbleiben der Solidarität einer breiten Öffentlichkeit, was den fortschreitenden geistig moralischen Bankrott einer Gesellschaft aufzeigt, die keine Lösungen und keine Kraft zu signifikanten Veränderungen mehr hat, und den Weg in die Katastrophe unbeirrt weitergeht. Auf jeden Fall wird auch Herr Söder demnächst, in der Kantine von Kraus-Maffai oder BMW, wieder auf seinen gewohnten Strohalm zurückgreifen dürfen. Oans, zwoa, gsuffa!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (12. Februar 2025 um 14:27 Uhr)
    Dem noch geltenden Gesetz nach ist die Überschrift korrekt. In der Praxis ist sie es längst nicht mehr. Und Achtung: Gesetze kann man ändern. Das geht schneller als man denkt, wenn das dünne Häutchen bewusst zerrissen wird, das die Zivilisation von der Barbarei trennt. Es lohnt, im Geschichtsbuch unter 1933 nachzuschlagen.
  • Leserbrief von Raimon Brete aus Chemnitz (12. Februar 2025 um 10:27 Uhr)
    Das Grundgesetz wird demontiert. Bayern schießt wieder einmal bei der Demontage von Grundrechten den Vogel ab. Der engagierten Klimaschutzaktivistin Lisa Poettinger wird regierungsoffiziell ein Maulkorb verpasst und Berufsverbot auferlegt. Dabei werden die fragwürdigen Erkenntnisse des intransparenten Verfassungsschutzes bemüht. Die berechtigt kritische Begleitung offiziellen Regierungshandels und die im Grundgesetz garantierte Meinungsfreiheit wird ad absurdum geführt. Der/dem mündigen Bürgerin/Bürger wird der Maulkorb verpasst. Kein Einzelfall, denn dem Moderator Max Uthoff wird der Auftritt im öffentlich-regierungsamtlichen Fernsehen verweigert und in Berlin wird gegen Aktive der Ver.di Betriebsgruppenvorstandes an der Freien Universität(sic) Berlin disziplinarisch vorgegangen. All diese verurteilungswürdigen staatlichen Maßnahmen erschüttern das ohnehin schwache Vertrauen in Regierung, Parteien sowie Medien. Bereits in den 60er Jahren bekannte der CSU-Bundesminister Höckerl: »Die Beamten können nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen«. Angesichts dieser Fakten verkommt das politische Getöse zum vergangenen »Geburtstag« des Grundgesetzes zur politischen Lachnummer. Was des Volkes Stimme wert ist, dokumentierte gestern im Deutschen Bundestag Kevin Kühnert (SPD), der in seiner Rede nachdrücklich die Politiker aufforderte, Meinungsmehrheiten in der Bevölkerung zu ignorieren, wenn es der Politik dienlich ist. Dabei bezog er sich auf die Wiederbewaffnung sowie Stationierung von Raketen und Atomwaffen in der Bundesrepublik Deutschland. Diese fanden bekanntermaßen gegen den Volkswillen statt. Soviel zum Demokratieverständnis des etablierten und herrschenden Parteienklüngels. Lisa Poettinger muss Gerechtigkeit widerfahren!
  • Leserbrief von Dr. Richard Albrecht aus Bad Münstereifel/NRW (12. Februar 2025 um 09:44 Uhr)
    Lieber Dr. Brauns, freilich ist BERUFSVERBOT als antikommunistische und antimarxistische Praxis nicht nur in Bayern schändlich. Und für Betroffene existenziell. Als betroffener Zeitzeuge habe ich bewusst damals und kürzlich nochmalöffentlichh den Begriff AUSBILDUNGSVERBOT benützt. (1) Und genau darum handelt es sich beim von Ihnen berichteten Fall gegen Lisa Poettinger in München. Der – ums auch begrifflich zum verdeutlichen – noch schändlicher und existenzieller für Betroffene ist als´n Berufsverbot: Wer kein zweites Staatsexamen hat, weil sie/er ´n Referendariat nicht ableisten durfte, hat nämlich keinen Lehrer/in genannten Beruf. (1) https://overton-magazin.de/krass-konkret/deutsche-wir-koennen-stolz-sein-auf-unser-land-waehlt-willy-brandt/ [191122] Mit freundlichem Gruß Ihr Dr. Richard Albrecht
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. (11. Februar 2025 um 21:36 Uhr)
    Liebe Lisa! Zuerst brauchen wir ein Spendenkonto für Dich. Ich hab für eine Freundin mit dem Rauchen aufgehört, für unsere Nachbarsfamilie war Schluss mit Cola und nun wird Kaffee dran glauben! Also, beste jW! Eröffne uns den Weg zur Lisasolidarität – eher sofort als zu spät! Ansonsten: Wäre hilfreich, wenn die Namen der Entscheidenden derartiger Manöver bekannt sein würden, damit sie nicht für immer unbehelligt weiter untereinander ihre Ränke schmieden, sondern uns allen deren Gesinnung vorgeführt und in die gesellschaftlichen Verhältnisse/Prämissen/Motive und Herrschaften eingeordnet werden, um die Herkünfte zu erkennen und zu benennen. Liebe Lisa! Bleib mutig und tapfer! Hilfe kommt!
  • Leserbrief von Richard (11. Februar 2025 um 21:35 Uhr)
    In Deutschland ist »Extremist«, wer sich gegen den staatlich-medialen (inkl. politischen) Extremismus stellt … Die Liste an Beispielen ist unendlich lang, z. B. im Umgang mit Gaza etc. etc. etc.

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