Freistaat gegen Marxismus
Von Fabian LinderIn Bayern sind Berufsverbote nach wie vor gängige Praxis, um antifaschistische und marxistische Positionen de facto zu kriminalisieren und insbesondere linke Aktivisten vom öffentlichen Dienst fernzuhalten. Das zeigt nun der aktuelle Fall einer angehenden Lehrerin, der durch einen Beschluss des bayerischen Kultusministeriums die Übernahme ins Referendariat verweigert wird, was damit einem Berufsverbot gleichkommt. Es handelt sich dabei um die 28jährige Klimaaktivistin Lisa Poettinger, die unter anderem im vergangenen Jahr auch eine große Anti-AfD-Demonstration in der bayerischen Landeshauptstadt mitorganisierte und bereits damals durch ihre Kritik an rechten Positionen in der CSU Ziel von Attacken konservativer Kräfte wurde.
Als Begründung für den Beschluss bezieht sich das zuständige Kultusministerium auf die »Tätigkeit und Mitgliedschaft in extremistischen Organisationen«, womit das »Offene Antikapitalistische Klimatreffen München« gemeint ist, eine Gruppe, die die Klimafrage ausdrücklich mit der sozialen Frage verbindet und entsprechend als Klassenfrage begreift. In diesem Kontext dürfte für das zuständige Ministerium vor allem die Teilnahme an Protesten gegen Braunkohleabbau und die seit 2021 in München stattfindende Automesse IAA ein Dorn im Auge sein. Insbesondere die Bezeichnung der Messe als ein »Symbol für Profitmaximierung auf Kosten von Mensch, Umwelt und Klima« in einem damaligen Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung (SZ) führt das Ministerium in seinem Bescheid an die Betroffene als einen Grund an. Der Begriff der Profitmaximierung sei demnach »kommunistischer Ideologie« zuzuordnen, die mit der »freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar« sei.
Poettinger verwies gegenüber SZ darauf, dass sie sich durchaus als Marxistin sehe, jedoch ebenfalls eine Verfechterin des Grundgesetzes und der Bayerischen Verfassung sei. Schließlich nehme das Grundgesetz selbst »keine unmittelbare Festlegung und Gewährleistung einer bestimmten Wirtschaftsordnung« vor, wie bereits das Bundesverfassungsgericht vor einigen Jahren feststellte.
Auf dem Kurznachrichtendienst X äußerte sich Poettinger angesichts der Kriminalisierung gegen Klimaaktivismus, wenn Berufsverbote »jetzt auch gegen Klimaaktive« genutzt werden. Dieses Vorgehen sei darüber hinaus ein Angriff auf ihre individuelle Zukunft. Dennoch zeigt sich die Betroffene kämpferisch, wenn es darum geht, gegen die Ministeriumsentscheidung zu klagen. »Ich werde dagegen vorgehen und mich nicht einschüchtern lassen«, heißt es dort. Die SZ erwähnt in ihrem Bericht darüber hinaus noch zwei anhängige Ermittlungsverfahren, die im Zuge der Proteste in Lützerath gegen Poettinger eingeleitet wurden. Der Vorwurf der Ermittlungsbehörden laute auf Widerstand und tätlichem Angriff gegen Vollstreckungsbeamte. Auch werde ihr angelastet, AfD-Wahlplakte zerstört zu haben, die nach Poettingers Aussage »klar antisemitische Bildsprache« hatten.
Die 1972 eingeführte Praxis der Berufsverbote durch den sogenannten Radikalenerlass ist lediglich noch im Freistaat bis heute in Kraft, wenn auch in abgeschwächter Form. Bewerber für den öffentlichen Dienst müssen den zwölfseitigen Fragebogen zur Prüfung der »Verfassungstreue« ausfüllen und darin erklären, ob sie eine Organisation unterstützen, die vom Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz als »verfassungsfeindlich« eingestuft wird. Auch eine mögliche Mitgliedschaft oder Tätigkeit für das frühere Ministerium für Staatssicherheit der DDR wird darin abgefragt. In den vergangenen Jahren gab es eine ganze Reihe von Fällen, bei denen Betroffenen etwa Forschungs- und Doktorandenstellen an Universitäten untersagt wurden oder sich Einstellungen über Monate hinzogen. Darunter fiel auch der Münchner Aktivist Kerem Schamberger an der Ludwig-Maximilians-Universität sowie der studierte Geograph Benjamin Ruß, der im vergangenen Jahr gegen diese Praxis an der TU München klagte.
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Noch schnell vor der nächsten Bürgerschaftswahl in Hamburg wurde vom Senat ein »neues« Disziplinarrecht verabschiedet. Offizieller Anlass soll dabei eine »Gesinnungsbrandmauer« gegen »Extremisten, Hass, Hetze und Desinformation« sein. Vor dem großen Terror gegen Andersdenkende hatten selbst die Hitlerfaschisten bei ihrem ersten Entwurf ihres Gesetzes zur »Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« (März 1933) noch den Passus vermerkt, dass Berufsverbote oder Disziplinarmaßnahmen gegen diejenigen Beamte nur dann ausgesprochen werden sollten, »die sich in ihrer Amtsführung in einer mit den Zielen des nationalen Staates nicht zu vereinbarenden Weise betätigt haben«. Soviel Verständnis findet sich nicht einmal in den von SPD und FDP formulierten Gesetzen und Verordnungen zu den Berufsverboten der Bundesrepublik in den 80ern. Mit dem »neuen« Disziplinarrecht sollen also »Extremisten« u. ä. als Beamte schneller aus dem Schuldienst entfernt oder disziplinarrechtlich belangt werden können. »Der vorliegende Gesetzesentwurf des Senats sieht u. a. vor, dass in Hamburg künftig auch die schwersten Disziplinarmaßnahmen, nämlich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (›Entlassung‹), die Zurückstufung (›Degradierung‹) und die Aberkennung des Ruhegehaltes, durch eine Disziplinarverfügung der Dienstherren möglich sein sollen. Diese Disziplinarmaßnahmen sind bislang dem gerichtlichen Disziplinarverfahren vorbehalten. Dieses Verfahren soll nunmehr in Hamburg abgeschafft werden.« (Gewerkschaft der Polizei – Hervorhebungen M. P.) Eine Einigungsstelle kann zwar noch eingeschaltet werden, hat aber nur Empfehlungscharakter und schließt ein Widerspruchsverfahren, bisher bei Gerichten zugelassen, aus!
Die oberste Dienstherrin in Hamburg, Frau Bekeris als Schulsenatorin, ist nach neuem Recht oberste Entscheidungsinstanz! Wer sonst, wenn nicht Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, sollte mit aller Macht gegen dieses unselige neue Disziplinarrecht kämpfen. Hamburg war schon einmal die treibende Kraft in Sachen Gesinnungsschnüffelei und Berufsverboten: »Auch in der ›freiheitlich demokratischen Grundordnung‹ fungiert seit der von der Hamburger SPD initiierten Ministerpräsidentenkonferenz vom 28. Januar 1972 der jeweilige Minister als oberste Entscheidungsinstanz.«
(R. Müller, Konkret 03/76, S. 31) Also wehret den Anfängen!