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Aus: Ausgabe vom 14.02.2025, Seite 11 / Feuilleton
Politik und Gesinnung

Von Narren und Männern

Kanzler Scholz, Senator Chialo und der Rassismusvorwurf
Von Felix Bartels
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Vielleicht ein Feigenblatt, aber sicher kein Hofnarr: Joe Chialo

Listen, don’t judge – lautet der neueste Trend auf Tik Tok und anderen Kanälen der schrägen Selbstvergewisserung. Dort wird der Kernsatz jeder Paartherapie unterhaltsamerweise zur Karikatur, weil die jungen Menschen die Formel an jede mögliche und unmögliche Beleidigung pappen. Ein ernster Kern liegt trotzdem im Jux. Die Karikatur könnte nicht funktionieren, lebten wir nicht allgemein – und beschleunigt durch die Verkehrsformen von Social Media – in einer Kultur des Drüberredens. Drüberreden bedeutet nichts anderes als nicht mehr zuhören. Genauer, erst reden, dann auch nicht mehr hören. Alles einordnen in die eigenen belanglosen Muster. Ob es passt, ist egal, wenn es zupass kommt.

Die neueste Sinfonie spielt das Orchester der Ewigerregten nach einem Partygespräch zwischen dem Kanzler Scholz und dem Senator Chialo. Kurzfassung: Der Kanzler, der noch unlängst im TV-Duell triumphierte, mit den kommenden Regelungen zur Migra­tion werde man viel mehr Menschen »wegschicken« können, hielt sich einiges darauf zugute, dass in der CDU Xenophobie und Bereitschaft, mit der AfD zu arbeiten, ein Stückchen salonfähiger seien als in seiner Partei. Der Senator, der zum progressiven Flügel der Union gerechnet wird, widersprach dem Kanzler. Der bezeichnete die Progressiven in der Union als »Feigenblatt« und auf Nachfrage auch als »Hofnarren«. Das wurde Anlass für den Vorwurf, Scholz habe sich vorm Hintergrund der Hautfarbe Chialos rassistisch geäußert. Julia Klöckner xte: »Black is beautiful«, Fremdenfreund Merz gestand: »Mir fehlen die Worte.«

Wie oft verdeckt gesinnungsethische Erregung den eigentlichen Skandal. In SPD und Union streiten eifrige Abschieber und fanatische Abschieber miteinander. Der Vorwurf, den Scholz gegen die Union formuliert hat, dient selbst als Feigenblatt. Und zugleich hat Scholz natürlich recht, wenn er Chialo und andere liberale Unioner als Feigenblatt ihrer Partei bezeichnet. Rassistisch ist das eine wie das andere nicht, zynisch wäre ein besseres Wort.

Seltsam übrigens auch die Vokabel Hofnarr. Was die in diesem Kontext soll, wird wohl Kanzlergeheimnis bleiben. Tatsächlich hatte der Narr im Absolutismus gerade die gegenteilige Funktion. In einem höfischen Umfeld, wo das Wort des Stellvertreters Gottes auf Erden nicht angezweifelt werden durfte, musste es wenigstens einen geben, der straflos aussprechen darf, was sonst in der Luft hängen blieb. Dieser eine war der Hofnarr. Und wenn man Chialo etwas vorwerfen kann, dann doch dies, dass er gerade kein Hofnarr ist.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (13. Februar 2025 um 23:21 Uhr)
    Hofnarren durften einiges aussprechen, denn sie waren hochgeachtete (und hochbezahlte) Berater am Hof. Die Höfe versuchten auch durchaus, sich gegenseitig die Hofnarren abzuwerben. Zur Erläuterung: »Erlebe ich diesen Spannungsaspekt, einerseits den Mut zu haben, sich selbst zu reflektieren, andererseits dem Machtstreben und der Unfehlbarkeit der Position zu erliegen. Diese Herausforderung zu meistern und dadurch ein vertrauensvolles Umfeld zu schaffen, ist die Aufgabe eines Hofnarren. Auf dieser Grundlage kann es gelingen, durch die richtigen Fragen wertvolle Antworten zu finden. « (https://www.marthaler-partner.ch/der-hofnarr/)

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