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Aus: Ausgabe vom 15.02.2025, Seite 1 / Titel
Militäretat

Rüsten, bis es kracht

»Zeitenwende« zum zweiten: Scholz reagiert auf Trumps Politik und will zwecks Aufrüstung Notlage wegen Ukraine-Krieg erklären lassen
Von Arnold Schölzel
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Symbolbild

Mehrfach haben die USA verlangt, dass die Staaten der Europäischen Union ihre Aufrüstung deutlich erhöhen, und die jüngsten Äußerungen von US-Präsident Donald Trump und seines Verteidigungsministers Pete Hegseth zeigen an: Sie meinen es ernst. Nach Lage der Dinge profitiert von rascher Aufrüstung in Europa in hohem Maße die US-Rüstungsindustrie.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will jedenfalls nach entsprechenden US-amerikanischen Aussagen zur »europäischen Sicherheitslage« nicht zulassen, dass »die Sicherheit unseres Landes und unseres Kontinents« aufs Spiel gesetzt wird. Auf einer am Freitag kurzfristig anberaumten Pressekonferenz im Bundeskanzleramt verwies er auf die von ihm am 27. Februar 2022 ausgerufene »Zeitenwende« und erklärte: »Heute stehen wir erneut an solch einem Punkt. Heute müssen wir uns der Realität stellen, die das Handeln und die Ankündigungen der US-Regierung für die Ukraine, für Europa und für die Welt bedeuten.«

Um für die USA ein »Verbündeter auf Augenhöhe« zu bleiben, müsse »Europa« erheblich mehr für die »Sicherheit« leisten. Es sei »immer klar gewesen«: Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr »kann nur ein erster Schritt sein«. Allein um das Zweiprozentziel der NATO zu halten, seien ab 2028 zusätzlich 30 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt nötig. Jedes weitere Prozent, das fürs Militär ausgegeben werde, entspreche »nach jetzigem Stand noch einmal 43 Milliarden Euro mehr«. Bis Ende des Jahrzehnts gehe es akkumuliert um dreistellige Milliardenwerte – »gewaltige Beträge«. Die von ihm verlangte beschleunigte Aufrüstung dürfte das Programm der nächsten Bundesregierungen werden.

Scholz machte drei Vorschläge. Erstens: »Wir brauchen eine Reform der Schuldenbremse, um Investitionen in unsere Sicherheit und Verteidigung davon auszunehmen.« Es gehe »um den Frieden und die Sicherheit unseres Landes«.

Zweitens: »Der Bundestag sollte schnellstmöglich einen Beschluss fassen, wonach der Krieg in der Ukraine und seine schwerwiegenden Folgen für die Sicherheit Deutschlands und Europas als Notlage im Sinne des Artikels 115 Absatz 2 des Grundgesetzes (dort: ›Normallage‹ versus ›Notsituationen‹, jW) eingestuft werden.« Dies würde laut Scholz dazu führen, dass die Unterstützung der Ukraine nicht weiter zu Lasten anderer Aufgaben gehe, die der Staat »gegenüber den eigenen Bürgerinnen und Bürgern zu erfüllen hat«.

Drittens: »Wir werden die Diskussion innerhalb der Europäischen Union voranbringen, wie wir Investitionen in unsere Verteidigung und den Aufbau einer starken europäischen Verteidigungsindustrie wirklich hinbekommen.«

Letzteres unterstrich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) bei einer fast gleichzeitig gehaltenen Rede auf der Münchner »Sicherheitskonferenz«. Sie will die EU-Schuldenregeln lockern, um den Mitgliedstaaten deutlich höhere Militärausgaben zu ermöglichen, und kündigte an, dass sie dafür erstmals seit der Covid-19-Pandemie die Nutzung einer »Sonderregel« im Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) vorschlagen werde. Für den Bereich Verteidigung solle die sogenannte Ausweichklausel des Pakts genutzt werden: »Das wird es den Mitgliedsländern erlauben, ihre Verteidigungsausgaben deutlich zu erhöhen.« Sie begründete dies mit dem Aufruf der USA, »die Europäer« müssten selbst für ihre Verteidigung sorgen und den Großteil der »Militärhilfen« für die Ukraine übernehmen.

Die EU hatte die »Ausweichklausel« während der Corona­pandemie genutzt und die Schuldenregeln damit ab 2020 bis Ende 2023 auf Eis gelegt. Der SWP erlaubt den Ländern ein Defizit von maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts und eine Gesamtverschuldung von 60 Prozent. Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten sich bereits Anfang Februar auf einem »Sicherheitsgipfel« auf mehr »Flexibilität« bei den Schuldenregeln verständigt und von der Leyen mit einem Vorschlag beauftragt.

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  • Leserbrief von Volker Wirth aus Berlin (19. Februar 2025 um 14:17 Uhr)
    Genau darum geht es! Denn Trump ist kein Friedensengel: das deutsch-französisch geführte »Europa« soll »nur« gefälligst Kosten und Folgen des Ukraine-Krieges allein stemmen, denn die USA müssten sich auf China konzentrieren. Dazu muss die EU »rüsten, bis es kracht!) Dafür der Pakt mit Japan und Südkorea (sozusagen die »NEATO« oder »Nordostasiatische Vertragsorganisation«), dafür die Dauerpräsenz im Südchinesischen Meer, dafür die Aufrüstung Taiwans, dafür die militärische Vereinnahmung der Philippinen, dafür auch die »Quad«-Zusammenarbeit mit Indien, dem man die guten Beziehungen zu Russland abgewöhnen möchte, und Australien.
    Gegen die VR China könnte aber idealerweise auch das kapitalistische Russland als Alliierter nützlich sein. Dazu muss man es mit Resultaten in der Ukraine ködern! Oder diese insgesamt fallen lassen. Oder zumindest so tun als ob.
    In dieser Lage, in der Europa seine Halbkolonie im Osten zu verlieren droht, und in der fast alle deutschen Politiker über Prozentsätze der »Verteidigungskosten« oberhalb von zwei Prozent des BIP reden, am schlimmsten die AfD, sollte zumindest erwähnt werden, dass eine Partei, das BSW, nur maximal ein Prozent für erforderlich hält. Das darf nicht verschwiegen werden!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (17. Februar 2025 um 09:26 Uhr)
    Dieser Aufmacher auf der Titelseite will nicht so recht zur aktuellen Situation passen. Da hätte zum Beispiel der deutsche Kriegsminister mit »Ich will dein Geld« besser gepasst. Zugeständnisse an Moskau seien »bedauerlich«, so Boris Pistorius und blamiert damit all jene, die die Kriegstreiber allein in Washington verorten, Deutschland hingegen sei lediglich ein Vasall der USA. Auch Roderich Kiesewetter, der die »fehlende deutsche Haltung« und ein »Abnicken irrer US-amerikanischer Machtpolitik« beklagte, was »faktisch einen Angriffskrieg« belohne, oder Kanzler Scholz, der vor einem »Diktatfrieden« zulasten der Ukraine warnte, hätte man mit Pistorius abbilden können. Diese Reaktionen zeigen, dass man den deutschen Imperialismus nicht zu Aufrüstung und Krieg drängen muss, wie das auch die Trump-Bildmontage suggeriert.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (15. Februar 2025 um 08:37 Uhr)
    Gegen welche Gefahren will sich Westeuropa so vehement verteidigen? Doch nicht etwa gegen die, die man selbst durch die NATO-Osterweiterung und den Ukraine-Krieg heraufbeschworen hat? Wäre es nicht ein besseres Rezept, mit dem Stänkern und Provozieren nicht nur auf unserem Kontinent endlich vollständig aufzuhören? Und wie soll das Scholz'sche Kunststück funktionieren, Geld auszugeben, das man nicht hat, ohne jemandem gleich oder später in die Taschen zu langen? Pflugschare zu Schwertern zu schmieden bringt nur demjenigen Gewinn, der die Schwerter verkauft. Allen anderen bringen Waffen nur Not, Leid und Tod. Diese Politik ist nur noch Irrsinn hoch drei.
  • Leserbrief von Reinhold Schramm aus Berlin (14. Februar 2025 um 22:11 Uhr)
    Die historische Verantwortung der deutschen Sozialdemokratie – bis heute 2025. Mit der SPD wurde das historische proletarische Klassenbewusstsein in Deutschland ausgerottet. Demonstrierten noch Hunderttausende zu Beginn des Ersten Weltkrieges unter Führung der SPD gegen die weitere militärische Aufrüstung. So stimmte die SPD-Parteiführung danach geschlossen, einschließlich Karl Liebknechts, für die Kriegsfinanzierung. Infolgedessen setzte sich die Parteiführung aktiv für die militärische Niederwerfung der sozialdemokratischen Arbeiterklasse ein. Und liquidierte Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht unter Mitwirkung von Gustav Noske. Sie verweigerten eine antikapitalistische und antifaschistische Zusammenarbeit mit der KPD gegen die NSDAP, SA und SS. Die SPD sah auch nach der politischen Machtübernahme der NSDAP ihren Hauptfeind in der antifaschistischen KPD. Die Politik des Antikommunismus wurde von der SPD-Führung nach Kriegsende unter Kurt Schumacher und Ernst Reuters fortgesetzt. ► Im ersten Bonner Bundestag 1949 befanden sich immer noch mehr als 140 NSDAP-Mitglieder in allen bürgerlichen Parteien, so auch in der SPD. Die KPD wurde 1956 verboten und strafrechtlich verfolgt. Sie verschwand zugleich aus dem Bonner Bundestag. ► PS: Was selbst den Faschisten der NSDAP nicht gelungen war, das sozialdemokratische Klassenbewusstsein der deutschen Arbeiterklasse gänzlich zu liquidieren, das ist bis heute 2025 der bürgerlichen Sozialdemokratie und deren sozialdemokratischen Bündnisgrünen vollständig gelungen.

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