Dein roter Faden in wirren Zeiten
Gegründet 1947 Dienstag, 18. März 2025, Nr. 65
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Dein roter Faden in wirren Zeiten Dein roter Faden in wirren Zeiten
Dein roter Faden in wirren Zeiten
Aus: Ausgabe vom 15.02.2025, Seite 11 / Feuilleton
Festivalfilm

Zwischen oben und unten

Am Mittwoch begann die »Woche der Kritik« in der Berliner Akademie der Künste mit einer Konferenz zum Thema »Zurück zur Klassenfrage«
Von Barbara Eder
CE QU_ON DEMANDE À UNE STATUE_4 Kopie.jpg
Szenenbild aus dem Dokumentarfilm »What We Ask of a Statue Is That It Doesn’t Move« (2024) von Daphné Hérétakis

Vieles, was sich auf den ersten Blick nicht zeigt, trat am Mittwoch abend offen zutage. Bei der Auftaktveranstaltung zur diesjährigen »Woche der Kritik« wurden die Klassenverhältnisse in der deutschen Filmproduktion ebenso zum Thema gemacht wie jene in den Sehgewohnheiten des Kinopublikums. Dabei handelt es sich um »blind spots« innerhalb der dominanten Wahrnehmungsweise. Die Veranstaltung mit dem Titel »Zurück zur Klassenfrage – Filmkultur und soziale Ungleichheit« konnte diesen Verblendungszusammenhang ansatzweise aufbrechen – mit Wortmeldungen von Sprecherinnen und Sprechern, die abseits dieses Zusammenhangs agieren.

Peter Badelt, Kameramann und Mitglied der Berliner Akademie der Künste, hat das bis zum 20. Februar andauernde Programm am Rande der Berlinale eröffnet. Er rückte ein vertracktes Nachwendebild zurecht: Nach 89 werde Filmemachen nicht mehr als solidarische Form der Zusammenarbeit verstanden, sondern als Ausdruck »individueller Stärke« oder »persönlichen Versagens«. Die öffentliche Wahrnehmung konzentriere sich auf den Regisseur als auktorialen Schöpfer-Gott und dränge den kollaborativen Prozess in den Hintergrund. Im Filmbusiness »Gesamtdeutschlands« zählten vor allem »Berufe mit Geniefaktor«. Am Set und in den Ausbildungsstätten herrschten Konkurrenz und sozialer Distinktionswille. Badelt hingegen habe in der DDR ein »grundlegend anderes Verhältnis« zum Medium Film entwickelt und riet auch aus diesem Grund zum Festhalten am Hauptwiderspruch: »Die Grenze verläuft nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten.«

Andreas Kemper, Soziologe und Autor des Buches »Klassismus: Eine Einführung«, brachte mit seinem Vortrag die Grundzüge eines Macht- und Gewaltverhältnisses auf den Punkt: Klassenverhältnisse sind Ausbeutungsverhältnisse – im Dienst des durch die herrschende Klasse angeeigneten und privatisierten Mehrprodukts. In Sachen Ideologieproduktion sorge der deutsche Adel derzeit für »surplus value« – in eigener Sache: Die von seinen Standesvertretern ausgehenden antifeministischen Attacken sind eine unmittelbare Reaktion auf die Angst vor dem Verlust patrilinearer Erbschaftsprivilegien. Von insgesamt 130 Milliardären in Deutschland haben 71 Prozent ihren Reichtum ererbt – ein factum brutum, das die Fortdauer von Feudalverhältnissen nahelegt. Demnach sprach Kemper auch von Deutschland als Klassengesellschaft und mokierte sich über die sie ummantelnde Ideologie: Konservative Wortführer beschwören mitunter den griechischen Tapferkeitsgott Herkules, um ihren Kampf um politische Hegemonie voranzutreiben. Ähnliche »Energien« wie die der »Virtù« (»Tugendhaftigkeit«, »Vortrefflichkeit«, die »Leistung« der »Leistungsrollen«, jW) hatte Peter Sloterdijk bereits vor Jahrzehnten extrapoliert – seine »thymotischen Krieger« kündeten vom heiligen Zorn starker (tugendhafter) Männer.

Francis Seeck, Professorin für Soziale Arbeit an der Technischen Hochschule Nürnberg, und Katalin Gennburg, Sprecherin für Stadtentwicklung, Umwelt und Tourismus der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin, rundeten im Wort- und Wissensaustausch den Abend ab. Für beide war das Jahr 89 ebenfalls mit einer Deklassierungserfahrung verbunden, Moderatorin Amina Aziz sprach dahingehend von »Ostbiographien« – eine nicht ganz wertneutrale Essentialisierung, die an Lebenslaufmuster und »Eingliederungsvereinbarungen« erinnert. Für Gennburg werden Klassenverhältnisse auch im bebauten Raum evident, im Kampf gegen Verdrängung brauche es deshalb ein »Recht auf Stadt«. Seeck verwies darauf, dass Menschen mit Psychatrieerfahrungen oft zu den ersten zählten, die nach einem stationären Aufenthalt nicht in ihre Wohnungen zurückkehren könnten. Sie erinnerte auch an den klassenbewussten Radikalfeminismus der »Prolo-Lesben« der 70er und 80er Jahre, die mehr als nur queer waren: Noch vor dem Entstehen erster Erwerbslosenbewegungen gelang es ihnen, Klassenscham kollektiv zu überwinden.

»Woche der Kritik«, Filmprogramm täglich bis 20.2., Hackesche-Höfe-Kino

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Regio:

Mehr aus: Feuilleton