Die toten Seelen
Von Ronald Kohl![11.jpg](/img/450/205493.jpg)
Wenn ein geliebter Mensch von uns gegangen ist, können mitunter Dinge passieren, die sich einer naturwissenschaftlichen Erklärung entziehen. Davon bin ich nicht nur überzeugt, das habe ich selbst schon erlebt. Und auch wenn ich kein Experte auf diesem Gebiet bin (ich bin noch nicht einmal interessierter Laie), glaube ich doch zu wissen, dass diese Impulse aus dem Jenseits, oder woher auch immer sie kommen mögen, nicht nur unerklärlich sind, sondern vor allem auch unspektakulär. Ein Spielfilm ließe sich damit niemals füllen, erst recht kein Klopper von fast drei Stunden.
Die Kernstory von »Das Licht« ist althergebrachter Standard: tote Seelen, die nicht loslassen können und sich weiter um uns hier unten kümmern. Neu, wenn auch nicht neuartig ist die brandaktuelle Verpackung, die für Regisseur und Drehbuchautor Tom Tykwer eine Herzensangelegenheit war. »Nach einer ziemlich langen Zeit, die ich mit ›Babylon Berlin‹ in den rauschenden 20er Jahren verbracht habe, darf ich mich endlich wieder unserer Gegenwart zuwenden«, wird er auf der offiziellen Website des Films zitiert.
Dieses Mal sind es also die rauschenden 2020er, jedoch auch wieder in Berlin. Tim Engels (Lars Eidinger) macht mit seiner Frau Milena (Nicolette Krebitz) eine Paartherapie, die im Grunde genauso läuft wie ihre Ehe: Einer fehlt immer. Bei Tim liegt es daran, dass er buchstäblich seit seiner Geburt ständig zu spät kommt (»Da waren es zwei Wochen«). Jetzt erscheint er jedes Mal kurz vor Ende der Sitzung. Immer pitschnass. Er ist ein Mann, der grundsätzlich alle Wege mit dem Rad erledigt. Und im Film regnet es bei so gut wie jeder Außenaufnahme in Strömen. Trotz klimaneutraler Fortbewegung und zotteliger Frisur verdient Tim seine Kohle als Stichwortgeber und Projektoberfuzzi in einer Werbeagentur. Seine Frau Milena betreut im Auftrag irgendeines Ministeriums Kulturarbeit in Afrika. Die beiden 17jährigen Kinder, Sohn und Tochter (Zwillinge), verbringen die meiste Zeit damit, Partydrogen zu nehmen (Mädchen) oder virtuelle Meisterschaften zu gewinnen (Junge). Die nachwachsende Generation ist zwar eines der großen Themen des Films, aber mit welcher Absicht das geschieht, habe ich nicht geschnallt. Ich konnte auf die Schnelle nur Sätze wie diesen im Netz finden. Tykwer: »Die jungen Leute sagen: Das ist ein Sauladen, den ihr hinterlasst.« So steht es jedenfalls auf Zeit Online. Und in der Internetausgabe des Spiegels heißt es: »Regisseur Tom Tykwer, 59, (›Lola rennt‹, ›Babylon Berlin‹) fragt sich, wie es mit Deutschland weitergehen soll.« (»Gute Frage, nächste Frage«, sagt mein Nachbar immer.)
Mit dem Plot geht es so weiter: Bei den Engels fällt in ihrer bürgerlich geräumigen und sympathisch chaotischen Charlottenburger Altbauwohnung die polnische Putzfrau tot um; Herzinfarkt beim Gläser spülen. Die Taxifahrt zur Beerdigung ist einer der wenigen Momente, der die Familie für ein paar Minuten zusammenbringt, wenn auch nur räumlich. Nach der Beisetzung ändert sich dann auf einmal alles. Denn als Ersatz für die polnische Haushaltshilfe betritt Farrah (Tala Al-Deen) die Bühne.
Wir kennen Farrah bereits aus dem Prolog, genauer gesagt, schon aus der ersten Einstellung: Berlin bei Nacht, aufgenommen aus der Luft. Egal, ob erleuchtete Fenster oder Straßenlaternen, alle Lichter strahlen gleichmäßig vor sich hin. Nur eines geht ständig an und aus. Die Kamera zoomt, bis wir eine Frau erkennen, deren Gesicht im Intervall dieses seltsamen Leuchtens immer wieder weiß angestrahlt wird. Das ist Farrah, Farrah und ihre Wunderlampe.
Auch Farrah hat einmal Zwillinge zur Welt gebracht, hat einen Mann gehabt, den sie liebte. Und er sie. Also keine Paartherapie. Dann war Krieg in Syrien. Flucht über das Meer. Und nun läuft in Farrahs Kopf regelmäßig derselbe Film: Sie befindet sich mit ihrer Familie in einem Raum. Knastatmosphäre; das einzige Fenster hoch oben unter der Decke ist vergittert. Auch wenn die Familie innerhalb dieses metallisch kalten Raumes kommuniziert, checken wir doch recht bald, dass außer Farrah alle tot sind.
»Seelen, die nicht loslassen können«, heißt es im ersten Kapitel des Films, »brauchen Geleit«. Nur deshalb hat Farrah also den Putzjob bei den Engels angenommen. Und ihr Plan soll auch aufgehen.
Beim spirituellen Showdown sehen wir beide Familien einvernehmlich miteinander ertrinken. Da habe ich dann wenigstens begriffen, warum es im Film immer pisst wie aus Eimern. (Es muss Millionen verschlungen haben, jeden zweiten Drehtag ganze Straßenzüge zu fluten. Stichwort: Saustall.)
»Das Licht«, Regie: Tom Tykwer, Deutschland 2025, 162 Min., Berlinale Special, 15.2., 16.2.
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