Links & bündig: Jetzt bestellen!
Gegründet 1947 Sa. / So., 15. / 16. Februar 2025, Nr. 39
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Links & bündig: Jetzt bestellen! Links & bündig: Jetzt bestellen!
Links & bündig: Jetzt bestellen!
Aus: Ausgabe vom 15.02.2025, Seite 10 / Feuilleton
Oper

Totentanz

»Der Kaiser von Atlantis« und Mozarts »Requiem« – Uraufführung als »KaiserRequiem« an der Volksoper Wien
Von Eileen Heerdegen
10.jpg
»Ist’s wahr, dass es Landschaften gibt, die nicht von Granattrichtern öd sind?« (Opernszene)

»Jeder weiß, dass er sterblich ist, und das ist eigentlich schwer auszuhalten«, sagt Autor Wolf Haas im ORF-Interview auf die Frage nach der angeblichen Wiener Lust an der Morbidität. Schließlich heißt es doch, »der Tod, das muss ein Wiener sein«, und die allerwunderschönste und ergreifendste Totenmesse überhaupt, das Requiem d-Moll KV 626, wurde zwar von einem Salzburger, aber in Wien komponiert. Doch war es für den todkranken Wolfgang Amadeus sicher nicht die Lust am Sterben, sondern vielmehr pure Verzweiflung und Angst, die ihn dieses grandiose Werk erschaffen ließen. »Sie waren bey den ersten Takten des Lacrimosa, als Mozart heftig zu weinen anfing, die Partitur bey Seite legte, und elf Stunden später, um ein Uhr nachts, verschied«, erinnerte sich ein damals anwesender Sänger.

»Ist’s wahr, dass es Landschaften gibt, die nicht von Granattrichtern öd sind?«, die Arie des Bubikopfs aus »Der Kaiser von Atlantis« könnte die vorsichtig-ängstliche Nachfrage auf »What a Wonderful World« sein und spricht damit die ganz dunkle Seite des Unfassbaren an – Tod und Zerstörung von Menschen erdacht und gemacht. Nach einer Statistik des United States Holocaust Memorial Museum wurden zwischen 1933 und 1945 jenseits der Kriegshandlungen mindestens 17 Millionen Menschen durch die Nazis und ihre Kollaborateure ermordet, davon allein sechs Millionen Juden, zum großen Teil in Lagern geplant »vernichtet«. Auch Viktor Ullmann, Komponist der Oper »Der Kaiser von Atlantis«, und sein junger Librettist Peter Kien starben in Auschwitz. Das Werk um die Schreckensherrschaft eines Kaisers, in dessen Reich selbst der Tod die Arbeit einstellt, entstand 1943/44 im »Ghetto« Theresienstadt. Ein KZ, dessen wahre Bestimmung zu Propagandazwecken verschleiert wurde (»Der Führer schenkt den Juden eine Stadt«), in dem auch kulturelle Aktivitäten möglich waren. Die Oper wurde dort allerdings nie aufgeführt, Ullmann und Kien wurden 1944 mit dem sogenannten Künstlertransport deportiert.

Für die Volksoper Wien hat Dirigent Omer Meir Wellber eine ungewöhnliche Verschränkung von Ullmanns knapp sechzigminütiger Kammeroper mit Mozarts Requiem geschaffen: »KaiserRequiem«. Ein Dialog zweier Werke, die im Angesicht des Todes entstanden, aber unterschiedlicher kaum sein könnten, und auch ein Dialog, eine Zusammenarbeit von Künstlern und verschiedenen Sparten des Theaters: den Tänzerinnen und Tänzern des Wiener Staatsballetts, Solistinnen und Solisten sowie dem Chor und Orchester der Volksoper Wien in der Regie und Choreographie von Andreas Heise.

Die Verbindung der modernen, gelegentlich eher sperrigen Ullmann-Komposition und deren Elemente aus Zwölftonmusik, Jazz und Tanzmusik mit der barocken Opulenz des Requiems gelingt hervorragend. »Ich habe nichts dazu komponiert, lediglich einige Harmonien geändert, um die Anschlüsse homogener zu machen. Insgesamt war es für mich verblüffend, an wie vielen Stellen die beiden Werke dieselbe Tonalität, den gleichen Rhythmus haben«, so Omer Meir Wellber. Die beiden Komponisten, die Stile, sind jeweils klar erkennbar, und obwohl auch die Instrumentierung verschieden ist (Ullmann war auf Musiker im Lager und deren Instrumente angewiesen, daher finden sich auch Banjo und Saxofon in der Besetzung), entstehen keine Brüche.

Noch erstaunlicher ist die Tatsache, dass dies alles auch noch mit einem sehr präsenten Ballett funktioniert, das choreographisch sehr viel mehr Nähe zu Ullmann als zu Mozart hat. Zugegeben, nicht immer ganz so flüssig ineinandergleitend wie auf der musikalischen Ebene, es gab durchaus Momente, denen ich mehr Ruhe und getragene Trauer gewünscht hätte. Die Vokalsolisten – Rebecca Nelsen (Bubikopf), Josef Wagner (Tod), Daniel Schmutzhard (Kaiser), Wallis Giunta (Trommler) – die auch die Solo-Parts des Requiems singen, unterstützt jeweils ein Tänzer, aber auch die Sänger selbst agieren ungewöhnlich körperlich. Eindrucksvoll die breitschultrig zackigen Bewegungen, die an konstruktivistische Gemälde erinnern, die Stakkato in den Bühnenboden hämmernden Spitzentanzschuhe der Tänzer und Tänzerinnen. Ein Sinnbild für die kalte Präzision von Waffen, Krieg und Vernichtungsmaschinerie.

Der Tod als willkommener Ausweg aus dem Bösen? Goethes Mephisto gibt zu bedenken: »Denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht; Drum besser wär’s, dass nichts entstünde.« Der Tod als einzige Chance auf Überwindung des Bösen? »KaiserRequiem« endet mit Mozarts großem Chor »Lacrimosa«, dem Jüngsten Gericht (»Tränenreich ist jener Tag«), dem letzten Part, den er selbst komponiert hat. Gäbe es den Tod nicht, könnte Bubikopf nicht fragen: »Ist’s wahr, dass es Wiesen gibt, die voll Buntheit und Duft sind?«

Nächste Aufführungen: 19.2., 26.2., 3.3.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Auf modernen Saiteninstrumenten historisch informiert: Das Ensem...
    27.10.2023

    Von derb bis zart

    Ein dynamisch zupackender Mozart: Das Ensemble Resonanz spielt die »Linzer« sowie die »Prager« Sinfonie
  • Polymedialer Aktivist alter Musik: Jordi Savall
    25.07.2023

    Kein Weihrauch

    Absichtsvoll drauflos musiziert: Jordi Savall dirgiert Mozarts Requiem

Mehr aus: Feuilleton