EU freut sich über HTS-Symbolpolitik
Von Wiebke Diehl
Es sei »ein Schritt in die richtige Richtung«, freuten sich am Sonnabend die dem »Netzwerk für feministische Außenpolitik« angehörenden Außenministerinnen und Außenminister mehrerer europäischer Staaten über die Berufung zweier Frauen in das Vorbereitungskomitee für den »Nationalen Dialog« in Syrien. De-facto-Machthaber Abu Mohammed Al-Dscholani, der sich inzwischen mit seinem bürgerlichen Namen Ahmed Al-Scharaa ansprechen lässt, hatte Ende Januar angekündigt, eine »Konferenz des Nationalen Dialogs« abhalten zu wollen. Deren von der Haiat-Tahrir-Al-Scham (HTS)-»Regierung« betonte »Inklusivität« ist allerdings höchst zweifelhaft: Weder sollen Vertreter der kurdisch geführten Selbstverwaltung im Nordosten des Landes eingeladen werden noch »Persönlichkeiten mit Verbindung zur Regierung von Baschar Al-Assad«. Im Jargon der HTS sind damit zumeist alle Angehörigen der alawitischen Glaubensgemeinschaft gemeint. Zudem sollen die auf der Konferenz diskutierten Vorschläge nicht bindend sein. Für den 1. März hat »Außenminister« Asaad Al-Schaibani die Vorstellung einer neuen Regierung angekündigt. Laut Al-Dscholani soll es voraussichtlich erst in fünf Jahren Neuwahlen und damit eine demokratisch legitimierte Regierung geben.
Um die seit dem Sturz der Regierung Assad am 8. Dezember herrschende HTS und mit ihr verbündete Milizen, die allesamt für schwerste Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen aus den Kriegsjahren bekannt sind, hoffähig zu machen, verschließen westliche Staats- und Regierungschefs die Augen vor den Realitäten vor Ort. Seit der HTS-Machtübernahme täglich stattfindende Massaker, Entführungen, Demütigungen und Folterungen werden genauso totgeschwiegen wie die Tatsache, dass Terroristen an Schlüsselpositionen von Regierung und Sicherheitskräften installiert wurden. So neben Al-Dscholani mit Al-Qaida- und IS-Vergangenheit zum Beispiel der »Justizminister« Schadi Mohammed Al-Waisi, der in der Vergangenheit die Hinrichtung von Frauen wegen Ehebruchs und »Prostitution« überwachte, oder »Verteidigungsminister« Murhaf Abu Kasra, dem Morde, Raubüberfälle, Hinrichtungen von Minderheiten, Vergewaltigungen und Steinigungen angelastet werden.
Selbst Stimmen aus dem Westen, wie die der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) verhallen ungehört. Anfang Februar wies sie darauf hin, dass Kritik an den dschihadistischen De-facto-Machthabern hochgefährlich ist, und dass z. B. in der Provinz Homs, in der viele Angehörige der christlichen und alawitischen Glaubensgemeinschaft leben, HTS-Mitglieder plündern, morden und entführen. Im ismaelitisch und christlich geprägten angrenzenden Hama wurde der Kriegsverbrecher Mohammed Hussein Al-Dschasim (alias Abu Amscha), der zuletzt die berüchtigte Miliz Sultan-Murad-Brigade anführte, zum Kommandeur der 25. Division ernannt. GfbV-Nahostreferent Kamal Sido kommt zu dem Schluss, die neuen syrischen Machthaber wollten ein islamistisches Regime errichten.
Dennoch haben sich die EU-Außenminister darauf verständigt, die Sanktionen gegen Syrien aufzuheben oder zumindest zu lockern. Am Donnerstag fand in Paris ein internationaler Gipfel statt, auf dem auch Al-Schaibani zugegen war. Kritik an den täglich in Syrien begangenen Verbrechen war dort nicht zu vernehmen. Frankreichs Außenminister Jean-Noël Barrot forderte allerdings indirekt die kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDK) auf, sich der HTS-Regierung zu unterstellen: Sie sollten diese im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat unterstützen. Die SDK, die den Nordosten Syriens, aber darüber hinaus auch die arabisch besiedelte Provinz Deir Al-Sor kontrollieren, in der sich sie meisten Ölvorkommen des Landes befinden, lehnen es wie auch die drusischen bewaffneten Gruppen im Süden ab, ihre Waffen abzugeben. Die israelische Armee hat inzwischen neun Militärstützpunkte auf syrischem Gebiet errichtet und kontrolliert 30 Prozent der syrischen Wasserversorgung. Von den HTS- und mit ihnen verbündeten Milizen hatte sie bis heute keinerlei Widerstand zu befürchten.
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