Systemfrage
Von Arnold Schölzel
Vor einem Jahr fand die Berliner Kundgebung zum Gedenken an die von einem Faschisten vier Jahre zuvor in Hanau ermordeten Menschen unter Polizeiauflagen statt. Die Anmelder mussten vor Beginn eine mehrseitige Verordnung zweimal – auf deutsch und auf arabisch – verlesen, in der verbotene Symbole und Parolen zum Völkermord in Gaza aufgezählt waren. Das wird in diesem Jahr nicht möglich sein. Auf Kundgebungen in Berlin ist arabisch sprechen seit zehn Tagen verboten. Die SPD-Innensenatorin sagt aber, das sei kein pauschales Sprachverbot. Es wird lediglich »auf weiteres« durchgesetzt. Denn in der Bundeshauptstadt verwirklichen ein durchgeknallter Senat und seine Behörden jeden Wink der AfD. Versammlungen werden gemäß willkürlich definierter Staatsräson nicht zugelassen oder aufgelöst, Rechtsstaat und Grundrechte bei »Gefahr im Verzug« von militärisch gerüsteten Polizisten außer Kraft gesetzt. Wer dagegen vorm Verwaltungsgericht klagt, benötigt Geld und Zeit. Über beides verfügen Inlandsgeheimdienst, Polizei und Ämter unbegrenzt.
Der Feind steht in diesem Land seit seiner Gründung links, Mi-granten sind per Gesetz verdächtig. Die Härte des amtlichen Umgangs mit beiden entspricht der Fürsorge, mit der rechte Gewalt geduldet oder gefördert wird. Siehe Hanau. Der faschistische Mörder war bekannt und bewaffnet – wie beim Oktoberfestattentat 1980 oder beim NSU. Said Etris Hashemi, der am 19. Februar 2020 in Hanau knapp mit dem Leben davonkam – sein jüngerer Bruder nicht – schreibt in seinem 2024 erschienenen Buch »Der Tag, an dem ich sterben sollte«: »Niemand bezweifelt mehr, dass der Notruf nicht richtig funktioniert hat. Dass der Notausgang verschlossen war. Dass der Vater des Täters ein Nazi ist, der nach wie vor unsere Heimatstadt terrorisiert.« Er, Hashemi, sei mehr als ein Überlebender, er wolle zeigen, warum sein Bruder gestorben ist, »welches System dahintersteckt«.
Um diese Aufklärung geht es, denn eine staatliche hat es nicht gegeben. Die Morde von Hanau sind eine Systemfrage. Die resultiert aus herrschender Ideologie und Repression gegen alle, die im Verdacht stehen, etwa über westliche Kriege anders zu denken als Regierende. Beispiel: Im Jahr 2000 schlug der frühere Hamburger SPD-Senatschef Hans-Ulrich Klose vor, fremdsprachige Transparente bei Kundgebungen zu verbieten. Das sorgte damals in seiner eigenen Partei und bei Bündnis 90/Die Grünen für einen Aufschrei, CDU und CSU fanden es gut. In Berlin setzen das SPD und CDU 2025 gemeinsam durch. Da kann ein Faschist schon mal »übersehen« werden.
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