»Demonstrieren allein reicht nicht«
Interview: Sofia Willer
Eine Veranstaltung der revolutionären Jugendorganisation Young Struggle im ACTIT-Verein in Paris wurde am Sonntag von einer Gruppe Faschisten angegriffen. Wie sind die Angreifer vorgegangen?
Im Rahmen unserer Antifaschismuskampagne haben wir einen Filmabend veranstaltet. Gegen 17.30 Uhr hörten wir Lärm an der Tür. Unser erster Gedanke war, dass etwas auf der Straße passiert war, deswegen sind ich und ein anderer Genosse runtergegangen und standen plötzlich 20 bis 30 jungen Faschisten gegenüber, die vermummt, mit Schlagstöcken und Messern bewaffnet, vor der Tür gewartet haben. Sie schafften es bis auf den Hof, aber nicht weiter und liefen nach kurzer Zeit wieder weg. Ein Genosse kam mit Schnittwunden und Gehirnerschütterung ins Krankenhaus, alle anderen blieben unverletzt.
Die faschistische Bewegung wächst in ganz Europa. War das eine spontane Attacke?
Das war ein gezielter Angriff. Die Faschisten sind tagsüber gekommen, mit dem Ziel, Antifaschisten anzugreifen. Beim Wegrennen riefen sie »Paris est Nazi, Lyon aussi est Nazi« (»Paris ist nazi, Lyon auch«, jW). Wir haben uns in den letzten Monaten wie viele Antifaschisten an Gegendemonstrationen und Aktionen gegen militante faschistische Organisationen beteiligt und haben zum Beispiel auch geschafft, dass vor einer Woche ein faschistisches Gedenken an einen Nazikollaborateur im 20. Bezirk verhindert werden konnte. Dieser Angriff könnte eine Reaktion darauf gewesen sein. Genaues wissen wir aber noch nicht.
Für uns soll dieser Moment vor allem ein Startpunkt sein, um die antifaschistische Organisierung und Bündnisarbeit noch weiter zu stärken und Paris nazifrei zu halten. Frankreich ist sehr zentralisiert, wenn die Faschisten in Paris tun und lassen können, was sie wollen, werden sie an anderen Orten auch weitermachen. Es geht also darum, unsere Stadt, die voller Arbeiter, Migranten, junger Frauen, LGBTI+ und Jugendlicher ist, zur gemeinsamen Selbstverteidigung zu bewegen. Das werden wir in den kommenden Stunden, Tagen und Wochen auch tun.
Paris hat eine Geschichte von Angriffen durch Faschisten auf migrantische, insbesondere kurdische Vereine. Sehen Sie da eine Kontinuität?
In den vergangenen Jahren gab es in diesem Stadtteil von Paris mehrere Angriffe. Wir denken dabei vor allem an die terroristischen Anschläge 2013 und im Dezember 2022, bei denen sechs Revolutionäre und Revolutionärinnen der kurdischen Bewegung ermordet wurden. Dahinter steht der türkische Geheimdienst, aber auch die europäischen kapitalistischen Staaten, die diese mörderische Politik des türkischen Faschismus in Europa kennen und dulden. Der Angriff am Sonntag abend ging zwar von der neofaschistischen Bewegung in Frankreich aus. Der gezielte Angriff auf Revolutionäre in ihren Vereinen reiht sich aber in dieselbe Einschüchterungspolitik ein.
Was ist Ihre Botschaft an Antifaschisten in Europa?
Solche Angriffe sind keine Einzel- oder Zufälle. Sie sind auch nichts, was die sozialistische Jugendbewegung nicht kennt. Wir haben uns in unserer Geschichte davon nicht einschüchtern lassen, sondern sind stärker und organisierter daraus hervorgegangen. Unser Genosse kam gestern mit einem Lachen aus dem Krankenhaus, und wir haben am selben Abend noch eine Demonstration mit circa 150 Leuten durch unser Viertel organisiert. Wir sind bereit, unsere Antwort zu organisieren, denn der französische Staat wird das bestimmt nicht tun.
Während wir sprechen, sind wir in unserem Verein, hängen Transparente aus den Fenstern heraus und bereiten uns auf eine weitere Demonstration am Abend vor. Am Sonnabend wird es eine Großdemonstration geben. Aus verschiedenen Ländern sind Genossen angereist, um zu unterstützen. Viele Organisationen haben ihre Solidarität ausgedrückt, in ganz Europa wurden spontane Solidaritätsaktionen organisiert. Die Stimmung online, aber auch auf der Straße ist klar: Demonstrieren allein reicht nicht, wir müssen uns revolutionär organisieren. Das ist unser Aufruf.
Miloš A. (Name geändert) ist Mitglied der europaweit aktiven marxistisch-leninistischen Jugendorganisation »Young Struggle«
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