Nicht vor der Wahl
Von Karim Natour
Es geht also doch. Unmittelbar vor den Bundestagswahlen dreht sich der Wahlkampf um substantielle Themen statt um angeblich nach Deutschland strömende Horden krimineller Geflüchteter. Dafür hat es lediglich der von der Trump-Administration eingeläuteten Wende in ihrer Ukraine-Politik und des damit zusammenhängenden »US-EU-Splits« bedurft. Die Debatte um weitere Militärhilfen für die Ukraine – auch nach einem von Russland und den USA verhandelten Abkommen – und die damit verbundene Diskussion über weitere Aufrüstung stellt die Parteien kurz vor den Wahlen unter Zugzwang. Neben Forderungen nach weiterer militärischer Unterstützung steht vor allem die von Großbritannien und Frankreich ins Spiel gebrachte Entsendung von Truppen aus EU-Ländern und Großbritannien in die Ukraine im Fokus.
SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz hält die Debatte zwei Tage vor der Wahl für verfrüht – wohl auch wegen der Stimmung in der Bevölkerung bei dem Thema. »Das ist aus meiner Sicht eine Debatte, die wir jetzt noch gar nicht führen sollten«, sagte er am Freitag im ZDF-»Morgenmagazin«. Momentan sei offen, ob es überhaupt zu einem Waffenstillstand komme und die Frage nach internationalen Truppen relevant werde. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) erklärte im Deutschlandfunk, als größter NATO-Partner in Europa werde sich Deutschland »an jeder sinnvollen friedenssichernden Maßnahme beteiligen«. Für Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) stellt sich die Frage ebenfalls noch nicht. Es sei »absurd, jetzt zu sagen, was immer uns die Russen und die US-Administration da hinkippen, wir werden es akzeptieren und absichern«, so der Grünen-Kanzlerkandidat.
Auch der Kanzlerkandidat der Union, Friedrich Merz, wollte sich so kurz vor den Wahlen inhaltlich nicht zu dem Vorschlag äußern. Es sei »zu früh, darüber nachzudenken«, so der CDU-Chef am Freitag im »Morgenmagazin«. Der Krieg in der Ukraine werde nicht »mit deutschen Soldaten« beendet, sondern »nur mit einer ukrainischen Armee, die sich weiter verteidigen könne«. Der Chef der Linkspartei, Jan van Aken, erklärte in der Sendung, sein »einziges Problem« bei dem Vorschlag sei, »dass dann mal wieder deutsche Soldaten kurz vor Stalingrad wären«. Damit »hätte ich Bauchschmerzen«. Internationale Truppen müssten aber im Rahmen eines UN-Mandats stationiert werden, einen NATO-Einsatz halte er für falsch. Am Donnerstag hatte sich bereits Bundesaußenministerin Annalena Baerbock zu Wort gemeldet. »Wenn es Absicherungen gibt, müssen natürlich auch die Europäer absichern«, so die Grünen-Politikerin in der »Schlussrunde« von ARD und ZDF. Alexander Dobrindt von der CSU entgegnete darauf, die Absicherung eines Abkommens müsse über die Unterstützung der 800.000 Mann starken ukrainischen Armee erfolgen.
Kritik an dem Vorstoß kam indessen von BSW-Chefin Sahra Wagenknecht. Die Ukraine brauche Sicherheitsgarantien, aber von neutralen Mächten, so Wagenknecht am Freitag im »Morgenmagazin«. Eine deutsche Beteiligung lehne sie ab. Deutschland sollte keine Soldaten dorthin schicken, wo die Wehrmacht gewütet habe. Zuvor hatte sie die Forderung ihrer Partei bekräftigt, keine Waffen mehr an die Ukraine zu liefern. Auch AfD-Chefin Alice Weidel lehnte eine Beteiligung deutscher Truppen ab. Es müsse eine internationale Friedenstruppe ohne Deutschland sein, so Weidel am Freitag im ZDF. Man werde dafür nicht zur Verfügung stehen, »dass deutsche Soldaten in die Ukraine entsandt werden«. Am Vorabend hatte sie in der »Schlussrunde« erklärt, Deutschland solle sich »überhaupt gar nicht mehr« beim Ukraine-Krieg engagieren.
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Leserbrief von Lothar Böling aus Düren (22. Februar 2025 um 18:36 Uhr)Wie dreist und geschichtsvergessen muss man sein, deutsche Soldaten in die Ukraine schicken zu wollen? Bei allen Verbrechen der Hitler-Wehrmacht, die dort verübt wurden, haben deutsche Soldaten in der Ukraine nichts zu suchen. Erinnert sei hier nur an die 1,5 Millionen jüdischen Bürger aus der Ukraine, die ermordet wurden. Mit der Forderung nach deutschen Soldaten für die Ukraine, offenbart sich einmal mehr, dass Russland das Ziel der NATO-Osterweiterung ist. Faktisch benötigt die Ukraine nämlich keine Sicherheitsgarantien und auch keine Soldaten aus NATO-Ländern. Denn der Aggressor ist nicht Russland, sondern die von den USA geführte NATO, die seit 1999 über 1.000 Kilometer, bis an Russlands Grenze, vorgerückt ist. Ein schwerer strategischer Fehler all jener, die weiterhin davon träumen, Russland erobern zu wollen. Trump hat das erkannt und die kriegslüsternen US-Demokraten und ihre europäischen NATO-Vasallen dafür offen kritisiert. Denn er will China bezwingen. Zudem ist dem russischen Einmarsch vom 24.02.2022, seit 2014, ein 8jähriger Bürgerkrieg im Donbass vorausgegangen. Die Folge: 14.000 Tote, 44.000 Verletzte und 1,5 Mio. Binnenflüchtlinge, allein bis Frühjahr 2022. Und wissen muss man, dass Russlands Forderung vom Herbst 2021, den Beschuss des Donbass durch ukrainische Soldaten zu beenden, von US-Präsident Biden, der NATO und Exkomiker Selenski selbstherrlich abgelehnt wurde. Russland sei, wie schon US-Präsident Obama 2014 formulierte, nur eine Lokalmacht; es könne nichts passieren, so dachte man. Welch ein Irrtum, zu glauben, Russland würde die Osterweiterung der Nato, das Vorrücken der größten Angriffsarmee der Welt, weiterhin tolerieren. Was Russland von den kleinen, gierigen Europäern (1812 Napoleon, 1914 Wilhelm II., 1941 Hitler) zu halten hat, belegen die gescheiterten Versuche Russland, bzw. die Sowjetunion erobern zu wollen. Und immer noch ist es nicht anders, wie die Waffenlieferungen an die Ukraine und die neuen Sanktionen gegen Russland belegen.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (21. Februar 2025 um 21:54 Uhr)Zunächst ist offensichtlich, dass die ehemaligen Großmächte Großbritannien und Frankreich in einem Akt der Selbstinszenierung versuchen, ihre Präsenz auf der weltpolitischen Bühne zu behaupten – trotz ihres längst geschwundenen Einflusses, sei es wirtschaftlich, politisch oder gar militärisch. Deutschland verfügt seit dem Zweiten Weltkrieg über keine eigenständige Außenpolitik und bleibt außenpolitisch schwach. Die drastischen Einschnitte in der Bundeswehr seit 1991 haben zudem dazu geführt, dass Deutschland nicht einmal in der Lage ist, seine eigene Sicherheit angemessen zu gewährleisten. Angesichts des gescheiterten Minsker Abkommens und aus historischen Gründen ist es undenkbar, dass deutsche Soldaten in der Ukraine stationiert werden. Russland, das in der Vergangenheit mehrfach vom Westen enttäuscht wurde, würde dies niemals akzeptieren – jede Diskussion darüber erübrigt sich. Zudem ist die Vorstellung einer 800.000 Mann starken ukrainischen Armee, wie von Alexander Dobrindt ins Spiel gebracht, völlig unrealistisch. Eine solche Streitkraft wird auch in Zukunft nicht existieren. In der Konsequenz stimme ich der Aussage uneingeschränkt zu: Deutschland sollte sich nicht länger im Ukraine-Krieg engagieren.
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