»Davon kann die Partei nicht profitieren«
Interview: Gitta Düperthal
Die Neue Richtervereinigung, NRV, beklagt einen Missbrauch der Sperrminorität der AfD in Thüringen. Diese blockiere, dass sich ein neuer Richterwahlausschuss bilden kann. Wie ist die Partei dabei vorgegangen?
Die von der AfD vorgeschlagenen Mitglieder wurden mit der erforderlichen Mehrheit gewählt, sie blockierten aber die Kandidaten der anderen Parteien. Der Ausschuss, der dafür zuständig ist, Richterinnen oder Richter auf Lebenszeit zu ernennen und über zustimmungspflichtige Beförderungen zu entscheiden, kann deshalb nicht neu konstituiert werden.
Das Thüringer Justizministerium hat auf Nachfrage bestätigt, dass der Ausschuss mit mindestens acht Mitgliedern noch handlungsfähig ist. Er sollte eigentlich mit 15 Mitgliedern ausgestattet sein – zehn Abgeordneten und fünf Richterinnen oder Richtern. Verblieben sind aber aktuell vier Abgeordnete und fünf Richter. Erkranken Mitglieder, wird es knapp.
Einige Mitglieder hatten kein Landtagsmandat mehr. Nach dem Gesetz bleiben aber die parlamentarischen Mitglieder bis zur vollständigen Neuwahl im Amt. Die AfD-Fraktion bricht mit ihrer Blockade demokratische Gepflogenheiten. Eine Nichtbesetzung von Richterstellen könnte die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats beeinträchtigen und die ohnehin schon hohe Belastung für derzeit tätige Richterinnen und Richter steigern.
Was will die AfD damit erreichen? Chaotische Zustände? Oder ist das eine Verhandlungsstrategie, um so für sie akzeptable Juristen zu plazieren?
Kommt kein neuer Richterwahlausschuss zustande, können auch die AfD-Mitglieder nicht einziehen. Und ist er nicht beschlussfähig, kann er gar keine Stellen mit Richterinnen und Richtern besetzen und niemanden befördern. Davon kann die AfD also nicht profitieren. Ich gehe davon aus, dass sie einfach jedes Mittel nutzt, um ihren Einfluss geltend zu machen und das demokratische System vorzuführen. Wir nehmen ihr Agieren als Destruktion wahr.
Will sie möglicherweise bestimmte politische Ziele erreichen?
Es könnte eine Retourkutsche sein – weil es der AfD zuvor nicht gelang, dass ihr Abgeordneter Jörg Prophet zum Landtagsvizepräsidenten gewählt wird. Laut MDR werden dem 63jährigen geschichtsrevisionistische Äußerungen über die NS-Zeit vorgeworfen. Zudem sollte nach AfD-Gusto einer ihrer Vertreter in die Parlamentarische Kontrollkommission gewählt werden, dessen Aufgabe es ist, die Tätigkeit des Amts für Verfassungsschutz zu kontrollieren. Das wäre absurd, zumal der Landesverband ja vom Inlandsgeheimdienst als gesichert rechtsextrem eingestuft ist.
Welche konkreten Gefahren drohen mit einer Arbeitsunfähigkeit des Richterwahlausschusses?
Stockt es in dem Ausschuss, steigt die sowieso immense Belastung im Justizwesen weiter. Gerade in den neuen Bundesländern gibt es Nachwuchsprobleme. Wer nach der Wende eingestellt wurde, ist 35 Jahre im Amt. Viele werden in Pension gehen. Die Personallage könnte noch angespannter werden, als sie es bereits ist. Das könnte zu Verzögerungen von Verfahren führen. Zudem: Werden Richter nicht befördert und verdienen nicht genug, wächst der Unmut in der Richterschaft.
Man hat den Wahlausgang und die Implikationen für das parlamentarische Prozedere voraussehen können. Wie ist zu erklären, dass man es nicht geschafft hat, eine AfD-Blockade im Voraus zu verhindern?
Genügend Warnungen gab es. Auch die NRV hatte gefordert, Lösungen zu finden, damit keine verfassungsfeindliche Partei die Justiz unterhöhlen kann. Offenbar nahm man es nicht ernst genug.
Was schlagen Sie vor?
Seit ihrer Gründung steht die NRV dafür, die Justiz aus der obrigkeitsstaatlichen Abhängigkeit von der Exekutive zu befreien. Sie sollte nicht den Justizministerien unterstehen, um die Unabhängigkeit von Richterinnen und Richtern nicht zu gefährden – damit sie die ihr anvertrauten Entscheidungen für die Bürgerinnen und Bürger unabhängig von politischen und ökonomischen Interessen treffen kann. Wir stellen uns einen Justizrat vor, der mit Stimmen der Justiz und des Parlaments gewählt wird.
Marianne Krause ist Richterin am Amtsgericht in Berlin-Kreuzberg und im Bundesvorstand der Neuen Richtervereinigung
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