Schießen und Wacheschieben
Von Philip Tassev
Die Zeiten der Bundesrepublik als »Frontstaat«, in denen sich in den Plänen der NATO-Strategen alles um Panzerschlachten in der »Fulda-Lücke« drehte, sind lange vorbei. Die Planer der transatlantischen Allianz sehen die BRD heute vor allem in der Rolle als logistische Drehscheibe für Truppen und Nachschub auf dem Weg zur neuen »Ostflanke« in Polen und im Baltikum. Die Verbindungswege über deutsche Häfen, Autobahnen, Schienen und Brücken wären im Kriegsfall legitime Ziele des Gegners, könnten aber auch ins Visier von antimilitaristischen Aktivisten geraten.
Zum Schutz dieser »kritischen Infrastruktur« – so der Militärjargon – stellt die Bundeswehr bis Mitte März eine sogenannte Heimatschutzdivision aus sechs Regimentern bzw. 42 Kompanien auf. Eine Mannstärke von 6.000 Soldaten wird genannt, hauptsächlich Reservisten. Noch zu wenige, findet der künftige Kommandeur der neuen Heimatschutzdivision, Generalmajor Andreas Henne. Der Offizier, der seit 2022 stellvertretender Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos ist, trauert in einem am Freitag veröffentlichten Gespräch mit der dpa dem Kalten Krieg nach – oder genauer: dem damals zur Verfügung stehenden Menschenmaterial. »Wenn man in die Geschichte der Bundeswehr schaut, dann waren dies bis 1989 im Territorialbereich 45.000 Soldaten. Im Falle eines Krieges, damals nur Westdeutschland, die alte Bundesrepublik, wären es 100.000 Soldaten gewesen.« Henne setzt seine Hoffnungen auf den »neuen Wehrdienst«: »Alle diejenigen, die maximal elf Monate bei der Bundeswehr bleiben wollen, sollen in den Heimatschutz gehen.« Mit dem Gewehr als »Hauptwaffensystem« sollen sie »einen zeitgerechten Aufmarsch der NATO möglich machen. Darin enthalten ist der Schutz der kritischen Infrastruktur, Autobahnbrücken, Kraftwerke, auch Serverfarmen, die in erster Linie militärischen Gesichtspunkten unterliegen«.
Seit 2021 können sich freiwillige Wehrdienstleistende im Rahmen des Projekts »Dein Jahr für Deutschland« zu »Heimatschützern« ausbilden lassen. Sieben Monate lernen sie dann das Schießen und Wacheschieben, bevor sie für sechs Jahre als Reservist einer der Heimatschutzkompanien zugeteilt werden – und zwar »in der Region, in der sie verwurzelt und vernetzt sind«, wie es auf der Webseite der Bundeswehr heißt. Die territoriale Reserve soll nämlich »Bindeglied zwischen Bundeswehr und Gesellschaft« sein und die »zivil-militärische« Zusammenarbeit mit Polizei, Feuerwehr und THW gewährleisten. Dafür kann sich die Armee schon jetzt auf ein Netzwerk aus 16 Landeskommandos am Sitz der jeweiligen Landesregierung, 37 Bezirksverbindungskommandos in allen Regierungsbezirken und 448 Kreisverbindungskommandos in allen Landkreisen und kreisfreien Städten stützen. Henne betont auch die hohe Bedeutung der Zusammenarbeit mit Privatunternehmen: »Schwere Lkw, der Baumaschinenbereich, da müssen wir mehr auf zivile Qualifikationen zurückgreifen können«.
Als Anspruch an seine Truppe nennt der Generalmajor »Fight tonight« – die Heimatschutzabteilungen sollen also bei Bedarf innerhalb weniger Stunden einsatzbereit sein. Gleichzeitig scheint sich der Offizier bewusst zu sein, dass zu hohe körperliche Anforderungen bei der Rekrutenjagd hinderlich sein könnten. »Muss der Soldat den 20-Kilometer-Marsch mit 15 Kilogramm Gepäck laufen können? Oder können wir die, die das nicht können, zu was anderem brauchen?«, fragt er, um selbst die Antwort zu geben, dass er grundsätzlich jeden für kriegsdienstverwendungsfähig hält: »Jeder hat spezielle Fähigkeiten und nahezu jede Fähigkeit kann uns nutzen.«
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