Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 22.02.2025, Seite 11 / Feuilleton
Qualkrampf

Wahlkampfhilfe (8). Du auch nicht, Christian

Von Felix Bartels
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Endspurt im Bundestagswahlkampf, die Parteien geben alles. Ob es lohnt, lesen Sie hier in loser Folge. (jW)

Vater Staat ist nicht Dein Erziehungsberechtigter. Sagt der Mann, der, schon bevor er ins Amt des Finanzministers befördert wurde, als paternalistischer Obermahner, als Praeceptor Germaniae, als Chefdenker des Neoliberalismus jenen Platz einnahm, den einmal Uli Hoeneß innehatte. Die Idee des Liberalismus, sofern er mehr als nur Fragen der persönlichen Lebensführung betrifft, sofern er also ein politisches Modell des gesellschaftlichen Lebens vorstellen soll, lebt auf in dem Anliegen, den Staat als Instrument zu nutzen, eine den Staat negierende Politik zu etablieren. Das klingt paradox, weil es paradox ist. Der Staat soll regulieren, dass nicht mehr reguliert wird, das Regulieren zum Zweck der Nichtregulation hat einen geläufigen Namen: Deregulierung.

Von ihren Anhängern nicht begriffen, steckt in der Losung das Eingeständnis, dass es einen nichtregulierten Zustand nicht geben kann. Peter Hacks hat das einmal in die griffige Formel gefasst: »Was der Staat nicht regelt, regeln andere.« Die reale Alternative besteht folglich nicht zwischen Freiheit und Zwang, denn jede Art Politik operiert als Zwang. Die Alternative konstituiert sich an der Frage, wer den Zwang ausübt. Beziehungsweise, wen man den Zwang ausüben lässt. Lindners Freiheit ist eine Freiheit vom Institutionellen, und wo die Institution sich zurückzieht, freie Wildbahn entsteht, waltet, was Hobbes als behemothischen Zustand bezeichnet, in unsere Zeit übersetzt: der Terror der Konzerne.

Folglich läuft jeder Liberalismus, der sich nicht aufs Private beschränkt, in sein Gegenteil. Das Autoritäre ist in ihm enthalten wie das Gewitter in der Wolke. Während beständiges Beschwören der Eigenverantwortung zunächst wie ein Joker als Antwort auf alle gesellschaftlichen Probleme zum Einsatz kommt, kollidiert dieser Ansatz mit der Wirklichkeit, in der eben nicht alle Menschen gleich begabt, gleich fleißig, gleich bevorteilt durch Elternhaus oder den Zufall der günstigen Gelegenheit sind. Im Kapitalismus, sagte Volker Pispers einmal, kann jeder reich werden, bloß nicht alle. Dieser Widerspruch von liberalem Ideal und kapitalistischer Wirklichkeit wird dem Liberalen nicht Anlass zur Reflexion, er löst ihn durch eben jenen Paternalismus, jene erzieherische Gängelei, die er »Vater Staat« stets vorwirft. Das Pack, das nicht ackern will, nicht »Alles geben. Auch für Deinen Job« (wie ein anderes Lindner-Plakat fordert), dieses Pack muss erzogen werden. Durch Zwang, durch Maßnahmen, durch Kürzungen. Wer das nicht fühlen will, muss hören.

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