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Aus: Ausgabe vom 04.03.2025, Seite 4 / Inland
Bürgerschaftswahl in Hamburg

Genug für »Rot-Grün«

Hamburg: Senatsparteien verzeichnen Verluste. SPD-Bürgermeister bevorzugt Fortsetzung der Koalition. Linke erfreut über Ergebnis
Von Marc Bebenroth
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Kommt wieder rein: Arbeiter sammeln Wahlplakate für den SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher ein (Hamburg, 3.3.2025)

Sie haben jeweils fast sechs Prozent Verlust eingefahren, aber für den Wahlsieg reicht es noch. Bereits vor Abschluss der Auszählung hat sich am Montag in Hamburg abgezeichnet, dass die Senatsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf der Regierungsbank bleiben dürfen. »Wir haben eine sehr verlässliche Zusammenarbeit mit den Grünen«, sagte der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) am Montag gegenüber Journalisten. Zwischen den Koalitionspartnern gebe es inhaltlich eine »viel größere Überschneidung«, weshalb eine Regierungsbildung mit der CDU nur »die zweite Wahl« sei.

Dieser bleibt da nur, auf die Zahlen zu verweisen. Als am Nachmittag die Auszählung in den Wahlgebieten dem Ende entgegenging, konnte sich die CDU über einen um 8,7 Prozent gestiegenen Stimmenanteil im Vergleich zur vorherigen Bürgerschaftswahl freuen. Mit ihren 19,8 Prozent ist sie zweitstärkste Kraft hinter der SPD mit 33,5 Prozent (5,7 Prozent weniger als bei der vergangenen Wahl). »Wir haben ein großartiges Wahlergebnis erzielt«, sagte der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz nach einem Termin mit dem Landesvorsitzenden Dennis Thering in Berlin.

Das Minus von 5,8 Prozentpunkten lässt die Grünen auf 18,4 Prozent der Stimmen schrumpfen. Rechnerisch hätte ein Senat aus SPD und CDU also eine etwas größere Mehrheit in der Bürgerschaft auf seiner Seite. »Daraus erwächst natürlich auch der Anspruch, mit der amtierenden Regierung in Hamburg Gespräche über eine Regierungsbeteiligung zu führen«, betonte Merz. Tschentscher habe allerdings »vieles nicht gefallen, was die CDU jetzt jüngst im Wahlkampf noch einmal im Bereich der Migrationspolitik verkündet und wahlkampftaktisch genutzt hat«, spielte der SPD-Bürgermeister auf Merz‘ Strategie im Bundestagswahlkampf an. Tschentscher sprach von »keiner guten Ausgangslage« für ein Zusammengehen mit Therings Christdemokraten.

Im Berliner Karl-Liebknecht-Haus hatte man früh per Mitteilungsdienst X Glückwünsche übermittelt. Der Landesverband habe »unser historisch bestes Ergebnis in Hamburg erreicht«, hieß es bereits am Sonntag abend. Als die ersten Wahlbezirke am Montag vollständig ausgezählt waren, lag die Partei bei 11,2 Prozent der Stimmen. Das Hamburg-Ergebnis der Bundestagswahl von 14,4 Prozent hat sie verfehlt. Als Elfprozentpartei liegt sie klar hinter den Hamburger Grünen, denen sie ein paar Prozent der Stimmen abgeluchst haben dürfte.

Immerhin: In der Bürgerschaft wird Die Linke stärker vertreten sein als die AfD. Diese holte 7,6 Prozent. Das Bündnis Sahra Wagenknecht erzielte aus dem Stand lediglich 1,8 Prozent – weniger als die unter »Übrige« gebündelten sonstigen Parteien. Eine solche ist die Wählervereinigung »Die Wahl für Frieden und soziale Gerechtigkeit« (Die Wahl – WFG), die unter anderem von ehemaligen Linke-Politikern gegründet worden war und sich Antimilitarismus sowie die Beantwortung der sozialen Frage auf die Fahne schreibt. Die WFG konnte am Ende nur etwas mehr als 7.200 Wählerinnen und Wähler überzeugen.

Damit verlieren die bisherigen Bürgerschaftsmitglieder der Wählervereinigung ihre Mandate, darunter Martin Dolzer und Mehmet Yıldız. Wer in einem Wahlkreis nicht mindestens um die 30.000 Stimmen holt, habe keine Chance auf einen Sitz in der Bürgerschaft, erklärte Dolzer am Montag im Gespräch mit junge Welt. Das Ergebnis zeige: Selbst eine gute Verankerung im Kiez reicht ihm zufolge nicht aus, wenn man in reichweitenstarken Medien nicht stattfindet und die Mittel für flächendeckende Wahlwerbung fehlen.

Von der ausgestreckten Hand der CDU und dem Wahlergebnis insgesamt unbeeindruckt präsentierte die Grünen-Spitzenkandidatin Katharina Fegebank das »Weiter so« mit der SPD als praktisch alternativlos. Eine andere Konstellation sei der Bevölkerung »gar nicht vermittelbar«, sagte Fegebank am Montag in Berlin. Sie nehme Tschentscher mit seinen Äußerungen »beim Wort« und freue sich auf die bevorstehenden Sondierungen, fügte die bislang für das Wissenschaftsressort zuständige Senatorin hinzu.

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  • Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (4. März 2025 um 08:57 Uhr)
    »In der Bürgerschaft wird Die Linke stärker vertreten sein als die AfD« – Mit diesem dürren Satz wird nicht erklärt, wieso in der »Stadt der Millionäre« die AfD deutlich hinter der Linkspartei zurückbleibt. – Gegenbeispiel: Als das Ergebnis der Bundestagswahl veröffentlicht wurde, stellte man erstaunt fest, dass die AfD in den Gebieten der ehemaligen DDR am meisten gewählt wurde. Wie kommt es, dass in den Köpfen der ehemaligen DDR-Bürger so wenig von 40 Jahren DDR, dem »Hort des gelebten Antifaschismus« hängengeblieben ist? Hätte man aus ideologischen Gründen nicht eher annehmen müssen, dass stattdessen die Linkspartei die Wahl für sich entscheidet? Ich finde, die jW ist das geeignete Medium, um diese Widersprüche aufzuklären!
    • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (4. März 2025 um 12:02 Uhr)
      »Mit diesem dürren Satz wird nicht erklärt, wieso in der ›Stadt der Millionäre‹ die AfD deutlich hinter der Linkspartei zurückbleibt.« Falls die PdL den neuen Milliardenschulden für die Rüstung zustimmt, dann ist sie bei dieser wichtigen Entscheidung ebenfalls die Partei der Millionäre. Passt doch. Die Anzahl der wählenden Millionäre ist außerdem nicht für die Wahl entscheidend. »Wie kommt es, dass in den Köpfen der ehemaligen DDR-Bürger so wenig von 40 Jahren DDR, dem ›Hort des gelebten Antifaschismus‹ hängengeblieben ist?« 1. Weil die DDR nur 40 Jahre dazu Zeit hatte. Die BRD dagegen hatte 35 Jahre Zeit, diesen Einfluss wieder zunichtezumachen. Und letzterer Einfluss der Propaganda ist der, der frisch im Gedächtnis haftet, vor allem bei denen, die erst ab 1989 geboren wurden. Einen großen Teil der älteren DDR-Bürger können Sie auf dem Friedhof besuchen 2. Zusätzlich zu den 35 Jahren BRD-Propaganda kommen die Jahre, auf denen ihr Einfluss aufbauen kann, z. B. beim Russenhass (12 Jahre »Drittes Reich«, davor Erster Weltkrieg) 3. Sich eine Stufe zu erheben und eine gerechtere Gesellschaft aufzubauen ist immer schwerer, als sich in den Egoismus zurückfallen zu lassen. Abwärts geht es immer zügiger als aufwärts. 4. Nicht alle DDR-Bürger waren Freunde der DDR. Auch dort gab es alte ehemalige NSDAP-Mitglieder, die ihre Kinder nicht ganz im Geiste des Sozialismus erzogen. Ich habe da so meine Erfahrungen bei den Eltern meines damaligen Schulfreundes 5. Die DDR-Bürger waren deutscher in ihrer inneren Haltung als die BRD-Bürger. Sie warfen sich den Russen nicht so an den Hals wie die Wessis den USA. Deshalb mag man auch jetzt die transatlantischen Parteien bei den Ossis weniger. 6. Durch die Abschottung der Grenze war man in der DDR weniger an zuziehende Ausländer gewöhnt als in der BRD 7. Krisensituationen fördern den Zustrom in rechtsradikale Parteien, siehe Weimarer Republik. Die ostdeutschen Länder hatten und haben seit 1990 mehr Krise als die westdeutschen.
      • Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (4. März 2025 um 15:55 Uhr)
        Ganz zu schweigen davon, dass für Millionen die anerzogenen und vertrauten Lebensweisen schlagartig zerstört wurden und ohne möglichen Widerstand vernichtet werden konnten: der sichere Arbeitsplatz, der Kindergarten, der Hort, der Haushaltstag, Medikamente für lau, Jugendklubs, der demokratisierte Sport für Millionen – ich hatte acht Jahre lang Fechttraining samt Waffen, Ausrüstung, Trainern, Übungsleitern, fünf Tage Fechthalle pro Woche, am U-Bahnhof Märkisches Museum, mindestens sechs Wochen Trainingslager im Jahr, wenigstens alle zwei Wochen ein Auswärtswochenende für Meisterschaften, Olympiaden, Ranglistenturniere oder andere Wettkämpfe – dafür zählten wir 20 Pfennig monatlich an den DTSB. An den freien Sonntagen gab’s eine Stunde Reiten: 50 Pfennige. Fahrerlaubnis gabs bei der GST. Für null! Fürs Studieren gab’s Geld, keine Schulden. Wer auf der EOS (= Gymnasium) war, bekam 100 Mark in der 11. und dann 150 Mark in der 12. Klasse – angepasst an die Lehrlingseinkommen. Klubs, Kinos, Opern, Theater, ÖPNV, Bahnreisen … Da musste der Osten ja versagt haben, wenn er so billig für alle nich mehr gegenhalten und/oder mithalten konnte.
  • Leserbrief von Ralph Wiechert aus Düsseldorf (3. März 2025 um 21:07 Uhr)
    Die Ergebnisdarstellung von Die Wahl – WFG berücksichtigt nicht die Besonderheit des Hamburger Wahlsystems mit der Möglichkeit des Panaschierens und Kumulierens mit max. je fünf Stimmen für die Landesliste und die Wahlkreisliste. Daher dürften dem Ergebnis von ca. 0,2 % für WFG etwa 1800 Wählerinnen und Wähler entsprechen.

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