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Aus: Ausgabe vom 05.03.2025, Seite 4 / Inland
Palästina-Solidarität

Verfassungsschutz in die Unis

Bundesbeauftragter Felix Klein sieht den Geheimdienst als geeignetes Mittel gegen Israel-Kritik an Hochschulen und heißt Trumps Vertreibungspläne gut
Von Max Grigutsch
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Polizisten räumen das besetzte Audimax der Universität Leipzig (7.5.2024)

»Bildung schützt nicht vor Antisemitismus«, sagt Felix Klein, der sogenannte Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung. Im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) sprach sich der Jurist am Dienstag für einen verstärkten Einsatz des Geheimdienstes an deutschen Universitäten aus. Dort gebe es einen »grassierenden Antisemitismus«, meint Klein zu wissen. Neben Aufklärungs- und Präventionsarbeit seien »auch die Sicherheitsbehörden wie der Verfassungsschutz gefragt«.

Hintergrund für Kleins Äußerungen dürften die seit dem 7. Oktober 2023 vermehrt stattfindenden Protestaktionen palästinasolidarischer Hochschulmitglieder sein. Mediale Aufmerksamkeit erhielt zum Beispiel das Protestcamp an der Freien Universität (FU) Berlin im Mai 2024, das mittels heftiger Polizeigewalt verhindert wurde. Weit über tausend Dozenten und Hochschulangestellte veröffentlichten daraufhin einen Brief und verurteilten das Hinzuziehen der Polizei. Ähnliche Aktionen fanden an nahezu jeder deutschen Uni statt.

Notwendiger Protest für die einen, »Verharmlosung von Islamismus und Terror« für Klein. Sogar das Lehrpersonal habe »Sympathien« für »Anti-Israel-Demonstrationen«. Verantwortlich macht der Bundesbeauftragte das Schreckgespenst einer islamistischen Linken in der Akademie: »Es ist komplett aberwitzig, dass Milieus, die sonst scheinbar keine Überschneidungen haben, nun zusammen demonstrieren: türkische Rechtsextreme mit linken Esoterikern etwa.« Dabei sei Antisemitismus das »Bindeglied«. Auf Fakten basiert diese Ansicht nicht. Tatsächlich belegt eine Studie der Universität Mannheim vom Oktober 2024, dass junge linke Menschen im Vergleich die am wenigsten antisemitische Gruppe sind.

Kontra kriegt Klein aus den Unis selbst. Der Beauftrage sei bekannt für seine »Verwechslung legitimer Kritik an der israelischen Regierung mit Antisemitismus«, kommentierte Arjuna Kinnari, Mitglied des Organisationsteams der Frankfurter Palästina-Konferenz, der im Januar die Räume der Goethe-Universität Frankfurt am Main entzogen worden waren, am Montag gegenüber junge Welt. Ähnlich sieht das die Allianz für kritische und solidarische Wissenschaft (Krisol). Klein zeichne ein Bild, das nicht der Realität entspricht. Es sei ein Versuch, »Positionen, die die israelische Politik kritisieren, als antisemitisch, kriminell und radikal zu verleumden«, so Krisol auf jW-Anfrage. Caro Vargas, Mitglied des BIPoC-Referats der FU Berlin, teilte jW ebenfalls mit, sie sehe den Vorschlag als »Teil eines autoritären Umbaus, der gezielt kritische und marginalisierte Stimmen unterdrückt«.

Dass viele Studierende ihre Kritik deutscher Komplizenschaft mit Israel mit einer antimilitaristischen Position verbinden, dürfte deutschen Regierungsvertretern, die aktuell vorrangig über neue Aufrüstungspakete diskutieren, ein Dorn im Auge sein. Mittel wie der Verfassungsschutz könnten nützlich werden, um der Bundesregierung auch zukünftig den Rücken freizuhalten. Ähnliche Bedenken äußerte Kinnari. »Wer weiß, was als nächstes kommt?« fragte Kinnari gegenüber jW und nannte mögliche Verbote von Zivilklauseln oder kritischer Studiengänge. Auch Krisol befürchtet eine weitere Verengung des Meinungskorridors: »Politische Einflussnahme und sicherheitspolitische Maßnahmen gehen Hand in Hand mit repressiven Strategien, die darauf abzielen, kritische Stimmen mundtot zu machen.«

Mit Blick auf Gaza zeigte sich Klein indessen offen für die Vertreibungspläne des US-Präsidenten Donald Trump. Dieser hatte Anfang Februar bei einer Pressekonferenz mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nahegelegt, die Palästinenser aus ihrer Heimat verdrängen und das Küstengebiet ohne ihre Mitwirkung wiederaufbauen zu wollen. Ein KI-generiertes Video auf Trumps Instagram-Account visualisierte daraufhin die von ihm beschworene »Riviera des Nahen Ostens« mit Wolkenkratzern und goldenen Trump-Statuen. Klein relativierte den Plan gegenüber NOZ mit den Worten: »Während Sie Ihr Haus renovieren, schlafen Sie schließlich auch nicht darin.« Die ehemalige Linkspartei-Vorsitzende Janine Wissler nannte Kleins Aussagen am Montag auf X »unerträglich«. In Gaza werde nicht renoviert, Zehntausende seien tot. Der Verein »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost« verpasste dem Juristen ebenfalls auf X prompt eine neue Berufsbezeichnung: »Bundesgenozidbeauftragter«.

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