Das Messer am Hals
Von Kai Köhler
In der ersten Szene der Oper setzt der Soldat Wozzeck das Messer an den Hals seines Hauptmanns – aber nur, um ihn zu rasieren. Zustechen wird Wozzeck dann im Schlussakt. Sein Opfer wird jedoch Marie, seine Geliebte, die ihn betrogen hat. Zuletzt ertrinkt Wozzeck in dem See, in den er die Mordwaffe geworfen hat.
Zuvor wird er von vielen Seiten malträtiert. Der Hauptmann demütigt ihn, und ein Arzt missbraucht ihn für Experimente. Wozzeck benötigt das Geld, um Marie und das gemeinsame Kind zu unterstützen. Marie hat allerdings als neuen Geliebten einen Tambourmajor, der brüllt: »Ich bin ein Mann!« und dies beweist, indem er Wozzeck zusammenschlägt. Wozzeck wird psychischer, ökonomischer und körperlicher Gewalt unterworfen, und er richtet seine Gewalt gegen die schwächste Person in dem Zusammenhang.
Georg Büchner starb 1837 und konnte sein Theaterstück nach einem zeitgenössischen Kriminalfall nicht mehr beenden. Alban Berg entschied sich 1914, den Text zu vertonen. Die Erfahrungen seines Militärdiensts im Ersten Weltkrieg dürften in das 1921 abgeschlossene Werk eingeflossen sein. Ergebnis war eine der wenigen modernen Opern, die zu Repertoirestücken wurden. Die Musik ist freitonal, sie klingt äußerst verdichtet (wobei ein Blick in die Partitur zeigt, mit welch sparsamen Mitteln Berg dies erreicht). Zugänglich allerdings ist das Werk, weil Berg traditionelle Ausdruckscharaktere bedient und weil es musikalische Motive gibt, die leicht wiederzuerkennen sind. Das wohl wichtigste unter ihnen erklingt früh zu den Worten »Wir arme Leut’« und markiert so soziale Anklage.
Am Anhaltischen Theater Dessau setzt Regisseurin Christiane Iven dies mit sparsamen Mitteln in Szene. Eine Innenraum-, eine Straßen- und eine Naturkulisse (Bühne: Guido Petzold) müssen reichen und genügen tatsächlich. Wahrscheinlich muss man sich bald an von Kürzungen geplagten Berliner Bühnen damit auseinandersetzen, dass man die intellektuelle Leere manch aufwändiger Inszenierung nicht mehr durch teuren Bühnenzauber überdecken kann. Insofern kann man von der vermeintlichen Provinz lernen.
Iven versucht keine völlig neue Deutung des oft aufgeführten Werks, sondern arbeitet die szenischen Vorgänge klar heraus. Es sind Details, in denen sich ihre besondere Lesart zeigt: wenn etwa Wozzeck nicht einfach ertrinkt, sondern sich im Wasser die Pulsadern aufschneidet. Zuletzt – so das düstere Fazit – wendet er die Aggression gegen sich selbst statt gegen die für seine Lage Verantwortlichen. Bei Iven gibt es auch eine neue Hauptperson: das Kind von Wozzeck und Marie, das in fast jeder Szene anwesend ist und die Vorgänge beobachtet. So veranschaulicht sie, was bei Büchner und Berg angelegt ist. Wozzeck lässt sich von Hauptmann und Doktor auspressen, weil er das Geld für sein Kind braucht; der Bub ist das letzte Bindeglied zwischen Wozzeck und Marie und ganz am Ende das überlebende Opfer: verhöhnt von den anderen Kindern und als Waise mit absehbarem Elend vor sich.
In solchen Einzelheiten zeigt sich die Möglichkeit, auch etablierten Werken auf sinnvolle Weise neue Facetten abzugewinnen. Marie tritt bei Iven selbstbewusster auf als meist sonst. Das dürfte mit den im Programmheft zu lesenden Gedanken zu Feminiziden zu tun haben, dass nämlich Männer, wenn Frauen sich ihrer Kontrolle zu entziehen versuchen, zu Gewalt greifen. Hier kommt freilich hinzu, dass Wozzeck wegen der medizinischen Versuche nicht mehr klar denken kann und dass er – von Iven drastisch in Szene gesetzt – vom Tambourmajor geschlagen und gedemütigt wird. Wozzeck ist nicht einfach der toxische Mann, sondern wird zu einem solchen gemacht. So verbindet die Regie soziale Frage und Genderkonflikt. Kay Stiefermann macht die Vielschichtigkeit dieser Rolle hörbar, ganz ohne Kraft herauszustellen. Die Marie von Ania Vegry tritt – im Einklang mit dem Regiekonzept – auch stimmlich dominant auf. Man glaubt dieser Frau, dass sie noch etwas anderes will, als mit dem Geld des stets gehetzten Wozzeck das Kind aufzuziehen. Weniger glaubt man ihr die stilleren Passagen, in denen sie Reue spürt über ihr Tun.
Das mag ein Problem der musikalischen Konzeption sein. Die Anhaltische Philharmonie Dessau erweist sich einmal mehr als äußerst leistungsfähiges Ensemble und arbeitet die Vielschichtigkeit von Bergs Musik heraus. Dirigent Markus L. Frank weiß Wirkungen zu setzen, ohne sie zu übersteuern, und vermittelt spätestromantische Emphase wie auch das Konstruktive dieser Oper. Nur wirken bei fast durchweg raschem Tempo die Ruhepunkte ein wenig eilig, was die nötigen Kontraste abschwächt.
Vieles wäre noch hervorzuheben, etwa die Besetzung der kleineren, wiewohl anspruchsvollen Rollen. Immerhin genannt sein sollen Michael Tews als Doktor und Christian Sturm als Wozzecks Kamerad Andres. Gelungen sind die gespenstischen Wirtshausszenen, komponiert als freudlose Besäufnisse – wer sonst nichts zu lachen hat, dem hilft auch kein Branntwein. Wieder ist dem Anhaltischen Theater eine Inszenierung gelungen, die eine Anreise lohnt.
Nächste Vorstellungen: 9.3., 21.3., 26.4.
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