Mordamerikas Exportschlager
Von Volker Hermsdorf
Soldaten, Putschisten und Mitglieder krimineller Banden töten weltweit mit Waffen aus den USA. Mit einer Klage gegen US-Waffenhersteller und -händler, deren Produkte bei Drogenkartellen landen, will Mexiko zumindest letzteren das mörderische Geschäft erschweren. Doch bei einer Anhörung vor dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten zeigte die konservative Mehrheit der Richter am Dienstag (Ortszeit) Sympathie für den Antrag, die Klage der mexikanischen Regierung abzuweisen. Die für Ende Juni erwartete Entscheidung des Gerichts dürfte entsprechend ausfallen.
»Wenn Mexiko Recht bekäme, dann hätten die Strafverfolgungsbehörden in den USA die größte kriminelle Verschwörung direkt vor ihrer Nase übersehen. Denn (Bierhersteller) Budweiser wäre dann für jeden von minderjährigen Trinkern verursachten Unfall haftbar, da die Firma weiß, dass Teenager Bier kaufen, betrunken fahren und einen Unfall bauen«, sagte Waffenfirmenanwalt Noel Francisco an das Gericht gewandt. Der konservative Richter Brett Kavanaugh machte sich den zynischen Vergleich zu eigen. »Viele Hersteller und Verkäufer normaler Produkte, wie Arzneimittel oder Autos, wissen, dass diese von Menschen missbraucht werden können«, hielt er Catherine Stetson, der Anwältin der mexikanischen Seite, entgegen und warnte davor, dass eine Zulassung der Klage »der US-Wirtschaft schaden könnte«. Die Aufgabe des Obersten Gerichtshofs bestehe lediglich darin, zu entscheiden, ob der Fall fortgesetzt werden dürfe, konterte Stetson. »Mexiko sollte eine Chance bekommen, seine Vorwürfe zu beweisen«, forderte sie. Nach der Anhörung meldeten Agenturen, dass auch die Minderheit der liberalen Richter Zweifel äußerte, ob die Klage die Hürden des US-Rechts überwinden kann. Ein 2005 verabschiedetes Gesetz schützt Waffenhersteller weitgehend vor Haftung, wenn ihre Produkte bei Verbrechen verwendet werden.
Die Chancen, dass Mexikos Argumente Gehör finden, stehen schlecht. Schließlich ist Waffenhandel ein Mordsgeschäft. Die Gewinne mit kleinen und leichten Waffen reichen zwar nicht an die astronomischen Margen heran, die sich mit Kriegen verdienen lassen, aber auch deren illegaler Export ist lukrativ. Allein der größte US-Hersteller von Handfeuerwaffen, Smith & Wesson, der zusammen mit dem Großhändler Interstate Arms die Abweisung der Klage beantragte, machte 2024 einen Umsatz von rund 536 Millionen US-Dollar (circa 516 Millionen Euro). Solche Profite schützt die Waffenlobby mit Hilfe der US-Justiz. Die Warnungen der Richter vor möglichen Schäden für die US-Wirtschaft haben die Erwartungen an einen Prozessbeginn weiter gesenkt, in Lateinamerika wird der Fortgang des Verfahrens gleichwohl mit Spannung verfolgt.
»Der illegale Waffenhandel aus den USA nach Lateinamerika und in die Karibik ist zwischen 2016 und 2023 um 120 Prozent gewachsen. Er fördert das organisierte Verbrechen und die regionale Unsicherheit«, sagte Kubas Außenminister Bruno Rodríguez in der vergangenen Woche. Doch Washington weigert sich bis heute, das bereits 1997 von 34 Mitgliedsländern der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) unterzeichnete CIFTA-Abkommen gegen den illegalen Waffenhandel zu ratifizieren.
Den Preis für diesen Erfolg der mächtigen US-Waffenlobby zahlt die Bevölkerung in den lateinamerikanischen und karibischen Ländern. Wie viele illegale Waffen in der Region zirkulieren, ist nicht genau bekannt – wohl aber ihre Herkunft: Bis zu 70 Prozent stammen aus den Vereinigten Staaten. Besonders alarmierend ist der Fall Bahamas, wo laut der Datenplattform Statista mehr als 95 Prozent der beschlagnahmten Waffen aus den USA ins Land geschmuggelt wurden. In Haiti liegt der Anteil bei 87 Prozent, in der Dominikanischen Republik bei 73 Prozent und in Jamaika bei 67 Prozent. Auf einem Gipfeltreffen der Karibischen Gemeinschaft (Caricom) beschlossen die Mitgliedsländer vor zwei Jahren, Mexikos Klage zu unterstützen. Grenadas Premierminister Dickon Mitchell nannte den illegalen Waffenhandel eine der größten Bedrohungen für die Region. Es sei kein Zufall, dass Länder, in die Waffen besonders häufig geschmuggelt werden, wie Jamaika oder El Salvador, auch überdurchschnittlich hohe Kriminalitäts- und Mordraten verzeichnen, folgert Statista. Während Washington den »Krieg gegen die Drogen« propagiert, bleiben Waffenlieferungen an die Kartelle unangetastet – ein Geschäft, das Jahr für Jahr Tausende Tote in der Region fordert.
Besonders alarmierend zeigt sich das in Haiti, wo bewaffnete Gangs den Großteil des Landes kontrollieren. Deren Schusswaffen und Munition kommen laut einem 2023 veröffentlichten Bericht des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) vor allem aus Florida. »Hier kommen alle Waffen von dort, das weiß jeder. Wenn die USA das stoppen wollten, könnten sie es problemlos tun! Wir bitten die USA, uns die Chance zu geben zu leben«, zitierte die BBC im März 2024 einen Bewohner von Port-au-Prince. Doch seine Bitte stieß auf taube Ohren. Bis Ende des Jahres wurden in Haiti mindestens 5.600 Menschen getötet und über 2.200 verletzt, meldeten die Vereinten Nationen.
Auch in Ecuador boomt das Geschäft mit dem Tod. Weniger als zehn Jahre nach der Zeit, in der das Land als eines der sichersten Länder Lateinamerikas galt, ist der Waffenhandel laut der Global Initiative Against Transnational Organized Crime zum größten kriminellen Markt Ecuadors geworden. Das Land ist inzwischen das mit der höchsten Kriminalitätsrate der Region. Im Januar 2025 erlebte Ecuador mit 800 Morden den blutigsten Monat seiner Geschichte – wenige Wochen vor der Stichwahl zwischen dem rechten Präsidenten Daniel Noboa und der linken Kandidatin Luisa González. Washington rechtfertigt seine Militärpräsenz seit Jahrzehnten mit dem »Krieg gegen die Drogen« – doch ohne die Waffen aus den USA könnten die Kartelle ihn kaum im derzeitigen Ausmaß führen.
Hintergrund: Waffenhandel bekämpfen
Lateinamerika und die Karibik gehören zu den Regionen mit der höchsten Verbreitung von Waffen und den höchsten Gewaltraten in der Welt. Die Anzahl der Tötungsdelikte entspricht nach Angaben des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) fast dem Dreifachen des weltweiten Durchschnitts. Vertreter der Karibischen Gemeinschaft (Caricom) und der Dominikanischen Republik weisen seit Jahren auf die Verbindungen zwischen illegaler Beschaffung und Verwendung von Feuerwaffen mit Drogenhandel, Geldwäsche, Menschenhandel und anderen Formen der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität hin. Auf einem Treffen im November 2023 forderten sie die Hersteller- und Exportstaaten auf, wirksamere Kontrollen zur Bekämpfung des illegalen Waffenhandels in der Region einzuführen.
Bereits im Mai 2018 hatte UN-Generalsekretär António Guterres bei der Vorlage einer Agenda mit dem Titel »Securing our Common Future« (Sicherung unserer gemeinsamen Zukunft) aufgerufen, die »übermäßige Anhäufung von Waffen und den unerlaubten Handel damit zu bekämpfen« sowie entsprechende Ansätze auf Länderebene zu unterstützen. Einen Monat später bekräftigten die UN-Mitgliedsländer ein Aktionsprogramm »zur Verhütung und Bekämpfung der Umlenkung von Kleinwaffen und leichten Waffen«. In der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen wird darüber hinaus bestätigt, dass die Bekämpfung des unerlaubten Handels mit Waffen zur Erreichung vieler Ziele einer nachhaltigen Entwicklung erforderlich ist, darunter jene in bezug auf Frieden, Gerechtigkeit, Armutsminderung, Wirtschaftswachstum, Gesundheit, Gleichstellung der Geschlechter und sichere Städte. Alle Staaten haben sich in dem Nachhaltigkeitsziel 16.4 dazu verpflichtet, illegale Finanz- und Waffenströme bis 2030 deutlich zu verringern. (vh)
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