Klingbeils dünne rote Linie
Von Marc Bebenroth
Zwischen ihnen liegen höchstens Mulden. Am Donnerstag nachmittag haben CDU/CSU und SPD ihre Vorverhandlungen zur Regierungsbildung im Bund hinter verschlossenen Türen in Berlin fortgesetzt. Auf der Agenda steht unter anderem die Migrationspolitik. Wenn es darum geht, zur Spaltung der Arbeiterklasse möglichst viele mittellose Einwanderer möglichst schon an den Außengrenzen der BRD aufzuhalten, gibt sich die Union betont kompromisslos. »Rote Linien« würden niemandem etwas bringen, belehrte der Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) am Morgen gegenüber den Sendern RTL und N-TV die Sozialdemokraten.
Er kritisierte damit die zuvor geäußerte Festlegung von SPD-Parteichef Lars Klingbeil, Zurückweisungen von Asylsuchenden an den Grenzen – international auch »Pushback« genannt – nicht mittragen zu wollen. Wadephul könne dagegen nach eigener Aussage die SPD »nur aufrufen, jetzt neue Wege zu gehen«. Die Migration müsse »eingedämmt« werden, forderte er.
Am Abend zuvor hatte Klingbeil in der ARD erklärt, dass die SPD »keine faktischen Grenzschließungen« mittragen werde. Nicht etwa wegen der unmenschlichen Behandlung von Schutzsuchenden als bloße Verfügungsmasse, sondern weil die Vorstellungen der Union wohl Ärger mit dem Verfassungsgericht oder EU-Gerichten bedeuten könnten. In einem am Donnerstag von den Organisationen Pro Asyl und Greenpeace vorgestellten Gutachten werden die von der Union geforderten unbefristeten Grenzkontrollen und die pauschale Zurückweisung von Asylsuchenden an deutschen Grenzen ebenfalls als rechtswidrig bewertet.
Unbefristete Grenzkontrollen verstoßen demnach gegen EU-Recht. Sie sind laut Gutachten zudem »voraussichtlich auch verfassungswidrig«, da sie gegen den grundgesetzlichen Auftrag verstoßen würden, ein »vereintes Europa« zu verwirklichen. Die pauschalen Zurückweisungen sieht die Rechtsexpertise gar als »verfassungs-, unions- und völkerrechtswidrig« an. Verletzt werden würde bei Umsetzung unter anderem das im Grundgesetz festgeschriebene Recht auf Asyl. Der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hatte im Wahlkampf wiederholt erklärt, er wolle am ersten Tag einer Amtszeit das Innenministerium anweisen, »ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise zurückzuweisen«.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wies am Donnerstag gegenüber dpa darauf hin, dass sich »die irreguläre Migration« auch »mit rechtsstaatlichen Mitteln und in enger europäischer Zusammenarbeit mit unseren Nachbarstaaten effektiv begrenzen« lasse. Beispielsweise mit den rund 50.000 »Pushbacks« der Bundespolizei bei den laufenden Grenzkontrollen seit Oktober 2023.
Den jüngsten Rückgang von Asylgesuchen – von Jahresbeginn bis Ende Februar um rund 43 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum – sah Faeser als Bestätigung der von ihr vorangetriebenen Gesetzesverschärfungen und der Grenzkontrollen. »Wir haben die irreguläre Migration stark zurückgedrängt.« Außerdem schiebe die BRD mehr Menschen ab, die kein Bleiberecht hätten, betonte die SPD-Politikerin.
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