»Priester und Bischöfe dürfen nicht zu beleidigt tun«
Interview: Bernhard Krebs
Seit dem 1. März ist im Bistum Münster eine Disziplinarordnung für Kleriker in Kraft. Was hat es damit auf sich?
Mit der neuen Disziplinarordnung – übrigens bislang einmalig in der Weltkirche – gibt es nun klare Kriterien und Verfahren, nach denen Verstöße gegen die Standespflichten eines Klerikers geahndet werden. Auch bisher konnte der Bischof Kleriker sanktionieren, die gegen ihre Standespflichten verstoßen. Aber nirgends war geregelt, wie genau er dabei vorgehen muss.
Kurz nach der Vorstellung eines Gutachtens zu von Priestern verübter sexualisierter Gewalt im Bistum Münster sagte Bischof Felix Genn im Juni 2022: »Sexueller Missbrauch ist immer auch Missbrauch von Macht.« Kann die Disziplinarordnung Machtmissbrauch durch Kleriker vorbeugen?
Für die Vorbeugung von Missbrauch, wir sprechen von sexualisierter Gewalt, ist vor allen Dingen Prävention notwendig. Es braucht ein Bewusstsein in der Kirche und überhaupt in der Gesellschaft dafür, was da geschieht. Wir dürfen nicht wegschauen. Mittlerweile gibt es viele gute und richtige Ansätze, beispielsweise in Form von Fortbildungen durch Präventionsbeauftragte. Inwiefern eine Disziplinarordnung Missbrauch vorbeugen kann, bin ich mir nicht sicher. Ein Strafgesetz alleine verhindert auch keine Verbrechen. Um sexualisierte und auch geistliche Gewalt in der Kirche zu verhindern, braucht es wache und mutige Gemeindemitglieder, die nicht wegschauen, wenn sich der Jugendseelsorger besonders gut mit den Jugendlichen versteht, mit ihnen zweifelhafte Filme guckt, vielleicht auch zuviel Bier trinkt. Auf der anderen Seite darf es aber auch nicht dazu kommen, dass sich ein Priester unter ständiger Beobachtung wähnt.
Sie meinen, es darf keinen Generalverdacht geben?
Den sollte es nicht geben. Aber Priester und Bischöfe dürfen auch nicht zu beleidigt tun, wenn die Leute heute genauer hinschauen. Täter konnten ihre Taten viel zu lange vertuschen und wurden viel zu lange von Vorgesetzten gedeckt.
Aber wie bewerten Sie als ein Vertreter der »Kirchenvolksbewegung« die Einführung der Disziplinarordnung?
Wir sind da erst mal dankbar, dass es diesen einzigartigen Ansatz gibt, der alle Kleriker vom Priester bis zum Bischof einer Ordnung unterwirft. Die Disziplinarordnung ist im Grunde eine Abkehr vom monarchischen Prinzip, dass der Bischof Legislative, Exekutive und Judikative in einer Person ist, hin zu einer Struktur, mit der es geregelte und transparente Verfahren gibt.
Betroffene von sexualisierter Gewalt durch Priester könnten entgegnen, dass die katholische Kirche mit der Selbstüberwachung überfordert ist, und der Staat mit seinen Strafverfolgungsbehörden aktiv werden solle.
Das würde ich auch unterschreiben. Mittlerweile gibt es auch Bischöfe, die das bejahen. Insgesamt gilt leider – da wären wir wieder beim gesellschaftlichen Bewusstsein –, dass sexualisierte Gewalt sich nicht nur auf die katholische Kirche beschränkt. Das alles spricht aus meiner Sicht aber nicht gegen die Disziplinarordnung.
Bischof Genn wollte ursprünglich eine diözesane Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Einhegung klerikaler Macht und Willkür einrichten. Geworden ist es ein Schlichtungsrat, eine Art freiwillige Schiedsgerichtsbarkeit. Ist Bischof Genn zu kurz gesprungen?
Er konnte nicht weiter springen. In Deutschland versuchen wir seit den 1970er Jahren, seit der Synode in Würzburg (Gemeinsame Synode der Bistümer der BRD von 1971 bis 1975, jW) eine Verwaltungsgerichtsbarkeit einzurichten. Kirchliches Handeln muss nachvollziehbar und rechtlich überprüfbar sein. Weg von Machtkonzentration, hin zu mehr Rechenschaftspflicht. Damals hat der Vatikan auf diese Vorschläge aus Deutschland nicht reagiert. Auf der Weltsynode 2023 und 2024 wurde aber endlich auch in Rom über Machtkontrolle und Rechenschaftspflicht beraten.
Christian Weisner ist Sprecher der Kirchenvolksbewegung »Wir sind Kirche«, die sich seit 30 Jahren für grundlegende Reformen in der katholischen Kirche einsetzt
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