Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 14.03.2025, Seite 10 / Feuilleton
Nachruf

»Die ganze Welt ist Krieg«

Auf sie war Verlass: Zum Tod der Journalistin Peggy Parnass
Von Volker Hermsdorf
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Peggy Parnass auf der Frankfurter Buchmesse am 9. Oktober 1985

Als ich Ende der 60er Jahre im Hamburger Arbeiterstadtteil Eimsbüttel in der Methfesselstraße lebte, hatte ich den Namen Peggy Parnass noch nie gehört. Auch ahnte ich nicht, dass aus dem Haus mit der Nummer 13, an dem ich jeden Morgen vorbeiging, nur 30 Jahre zuvor das jüdische Ehepaar Hertha und Simon Parnass von Nazischergen abgeholt und 1942 im Vernichtungslager Treblinka ermordet worden waren. Stolpersteine gab es noch nicht. Und erst vor zwei Jahren wurde der nahegelegene Parnass-Platz nach den Eltern der Gerichtsreporterin, Schriftstellerin und Aktivistin Peggy Parnass benannt.

Kennengelernt habe ich sie dann vor knapp 50 Jahren. Wenn Peggy spät bei unserem Hamburger Journalistenstammtisch auftauchte, wurde die Nacht lang. Sie liebte es, zu provozieren. Nicht, um Streit zu suchen, sondern um den Finger in Wunden zu legen, Duckmäusertum und Doppelmoral zu entlarven. Geeignete Anlässe gab es in dieser Zeit genug. In Chile (1973) und Argentinien (1976) putschten von den USA unterstützte Militärs und errichteten faschistische Diktaturen. Im »Deutschen Herbst« herrschte eine bleierne Atmosphäre. Die inhaftierten Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe waren im Oktober 1977 tot in ihren Zellen im Hochsicherheitstrakt von Stammheim aufgefunden worden. Ein Jahr zuvor war die Journalistin und RAF-Mitbegründerin Ulrike Meinhof dort ebenfalls ums Leben gekommen. »Sie war eine der intelligentesten Frauen des Landes und sehr, sehr gütig«, beschreibt Peggy ihre ehemalige Kollegin, mit der sie gut bekannt war.

Die den Nazis als Kind entkommene Hamburgerin engagierte sich gegen die unter SPD-Kanzler Willy Brandt eingeführten Berufsverbote und die mit dem NATO-Doppelbeschluss Ende der 1970er Jahre angekündigte Stationierung von US-Atomraketen in Westdeutschland. Im Juni 1979 initiierte sie mit 86 Mitstreiterinnen einen Appell gegen die Einziehung von Frauen in die Bundeswehr. Peggy unterstützte Friedensdemonstrationen in Bonn, an denen 1981 rund 350.000 und 1982 über 500.000 Rüstungsgegner teilnahmen. Mit Susanne von Paczensky, Sophie Behr und anderen beteiligte sie sich an der Vorbereitung mehrerer Friedensmärsche quer durch Europa. Wer für sein Engagement attackiert oder verfolgt wurde, konnte sich auf Peggys Solidarität verlassen.

Bei einer Gewerkschaftsveranstaltung der Deutschen Journalistenunion, deren Mitglied wir beide waren, war sie die einzige, die mich öffentlich unterstützte, als ich wegen Kritik am NATO-Krieg gegen Jugoslawien attackiert wurde. Am aktuellen Zustand in Deutschland empörte sie »die große Politik und die tausend Vorwände für eine militärische Intervention, und auch die Art, Leute zu ködern, in Kriege reinzugehen, zu morden oder sich verkrüppeln und umbringen zu lassen«, sagte sie im Juni vergangenen Jahres. Die Forderung »Nie wieder Krieg« bezeichnete sie gegenüber der Taz dagegen als »Quatsch«. Wenn es hieße, »wir wollen die Kriege beenden, wäre das ein Vorsatz, den man bejahen kann – aber nie wieder etwas, was permanent da ist? Da ist ›nie wieder‹ Quatsch«. Denn »die ganze Welt ist Krieg«, sagte sie.

Bezeichnend war ihre Antwort, als sie gefragt wurde, welche der zahlreichen Gerichtsreportagen für Konkret, die sie bekannt gemacht hatten, ihr besonders im Gedächtnis geblieben war: Peggy nannte den Prozess gegen eine 19jährige Palästinenserin, die mit drei Genossen ein Flugzeug entführt hatte, um RAF-Mitglieder freizupressen, dabei hatten sie jedoch niemanden getötet. »Beim Erstürmen der Maschine hatte man sie zum Krüppel geschossen. Im Prozess konnte sie nicht sitzen, nicht stehen, mal stand sie auf, mal lehnte sie sich an die Wand, brach da fast zusammen. Ich war die einzige, die auf sie zuging und mit ihr sprach, als einen Moment Pause war. Und wurde sofort mit Rausschmiss bedroht. Draußen redete ich mit anderen Journalisten, die alle fanden, dass das eine Massenmörderin sei. Und tatsächliche Massenmörder wie Ludwig Hahn, der höchste Gestapo-Mann in Polen, verantwortlich für 280.000 Morde, mussten nicht in den Knast, wenn sie kränkelten.«

Am Mittwoch ist Peggy Parnass mit 97 Jahren in Hamburg St. Georg verstorben.

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