Sternmarsch auf Belgrad
Von Roland Zschächner
Es ist eine Machtdemonstration: Die seit drei Monaten protestierenden Studenten haben zu einer Massenkundgebung am Sonnabend in der serbischen Hauptstadt Belgrad aufgerufen. Stattfinden soll sie vor dem Parlament. Mehrere zehntausend Menschen werden erwartet, andere rechnen damit, dass es die größte Demonstration der jüngeren Geschichte des Landes werden wird, mit weit mehr als einhunderttausend Teilnehmern.
In den serbischen Medien gibt es fast kein anderes Thema mehr. Dabei schwingt die bange Frage mit, ob es Gewalt geben wird. In der vergangenen Woche kam es in Belgrad erstmals seit Beginn der Bewegung zu Zusammenstößen zwischen Studierenden und Einsatzkräften. Dabei wurde ein Polizist verletzt – von den eigenen Kollegen, wie sich später herausstellte. In den vergangenen Tagen haben sich zudem regierungsfreundliche Veteranen, Studenten und Bauern unweit des Parlaments versammelt. Provokationen zwischen den beiden Gruppen könnten zu einer Eskalation führen.
Unterdessen werden die Stimmen lauter, die die Regierung auffordern, alles zu unternehmen, damit die Lage friedlich bleibt. Zu diesen gehören die Rektoren der Hochschulen, Oppositionspolitiker, westliche Botschafter und EU-Abgeordnete. Auch Serbiens Präsident Aleksandar Vučić äußerte sich entsprechend: »Unsere Absicht ist es, Gewalt um jeden Preis zu vermeiden«, sagte er am Dienstag in einem Instagram-Beitrag. Er rief »die politischen Parteien, die einmal an der Macht waren und mit Hilfe der Studentenproteste an die Macht zurückkehren wollen«, dazu auf, nicht zur Gewalt zu greifen.
In der Polizei scheint es Beamte zu geben, die sich mit den Protestanten solidarisieren, wie die liberale Wochenzeitschrift Vreme berichtete. So reichten Beamte für das Wochenende Urlaub ein, andere verwiesen darauf, dass am 15. März der Verkehr nicht funktionieren werde. Ein Polizeioffizier wird mit den Worten wiedergegeben: »Glauben Sie, ich würde die Polizei gegen meine zwei studierenden Kinder einsetzen? Sie waren bei allen Protesten dabei, von Belgrad bis Novi Sad, Kragujevac, Niš und jetzt wieder in Belgrad.«
Der zitierte Polizist verweist damit auf die Breite der landesweiten Bewegung. Entstanden war sie infolge des Einsturzes des Bahnhofsvordachs von Novi Sad am 1. November. Bei dem Unglück kamen 15 Menschen ums Leben. Die jungen Menschen fordern die Aufklärung des Falls, aber auch bessere Lebens- und Lernbedingungen. Dabei ist die Bewegung auch gegen die regierende Fortschrittspartei von Vučić gerichtet und genießt laut Umfragen große Beliebtheit in der Bevölkerung; die Forderungen wurden in alle Ecken Serbiens getragen. Bauern, Lehrer und Anwälte haben sich solidarisiert. Auch die Oppositionsparteien aus dem rechten und liberalen Lager versuchen, Einfluss zu nehmen.
Schon in den vergangenen Tagen sind Tausende Studierende aus allen Landesteilen aufgebrochen, um am Sonnabend in Belgrad zu sein. Viele sind zu Fuß unterwegs. Dabei werden sie von Anwohnern mit Essen und Trinken versorgt. Auch Priester haben Demonstranten gesegnet. Doch bleibt die Frage offen, wie lange die Proteste weitergehen, wenn, wie es aussieht, die Forderungen nicht erfüllt werden und Vučić versucht, alles auszusitzen.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Marko Djurica/REUTERS18.02.2025
Feiertag im Zeichen der Blockade
- Marko Djurica/REUTERS08.02.2025
Revolutionäre ohne Farbe
- Marko Djurica/REUTERS24.01.2025
Vučić unter Druck
Regio:
Mehr aus: Ausland
-
Protest in goldener Lobby
vom 15.03.2025 -
Häuser trotz Ramadans zerstört
vom 15.03.2025 -
Beirut wird erpresst
vom 15.03.2025 -
Duterte in Den Haag
vom 15.03.2025