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Aus: Ausgabe vom 17.03.2025, Seite 6 / Ausland
Gefängnisse in den USA

Der eigene Körper als Waffe

USA: Unhaltbare Zustände in Gefängnis in Virginia. Insassen zünden sich aus Verzweiflung selbst an
Von Jürgen Heiser
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Die Zustände jenseits der Mauern sind seit Jahren Thema (Strafvollzugsanstalt in Jarratt, 10.11.2009)

Im US-Staatsgefängnis Red Onion in der Nähe des Ortes Pound in Virginia sind die Haftbedingungen so unerträglich, dass Gefangene seit Monaten immer wieder in den Hungerstreik treten. Verschiedenen Berichten zufolge – so auch von Noelle Hanrahan und Jennifer Black vom Projekt Prison Radio –eskaliert die Lage zunehmend. »Die gequälten, isolierten und mit brutaler Gewalt konfrontierten Männer, die aus größeren Städten in dieses ländliche Berggefängnis gebracht« würden, reagierten in ihrer Verzweiflung mit Selbstverbrennungen, schreiben sie. Tatsächlich bestätigte die Strafvollzugsbehörde des Bundesstaates Ende des vergangenen Jahres, dass sich sechs Gefangene selbst anzündeten.

Im Onlineblog Inquest, »einem Forum für die Förderung mutiger Ideen zur Beendigung der Masseninhaftierung in den Vereinigten Staaten«, zitieren Hanrahan und Black aus einem Telefongespräch mit dem Gefangenen Ekong Eshiet: Er habe zwar schon einen Entlassungstermin, doch »die Misshandlungen sind so unerträglich, dass ich alles versuche, um aus Red Onion wegzukommen«. Nach einem Hungerstreik habe auch er sich angezündet. »Wenn es sein muss, zünde ich mich noch einmal an, und dieses Mal meinen ganzen Körper!«

Eshiet ist nicht der einzige Gefangene, der seinen Körper als letzte Waffe in diesem Kampf um minimale Menschenrechte einsetzt. Im Gegensatz zu Medien wie der New York Times, dem Sender NBC und dem britischen Guardian, die in der Folge der Prison Radio-Meldungen über die dramatischen Bedingungen im Red Onion State Prison berichteten, hat das Radiokollektiv direkten Kontakt zu den zwölf Gefangenen, die sich seit selbst angezündet haben, ebenso wie zu deren Familien. Den Aussagen der Häftlinge zufolge haben sich die Brandwunden dritten Grades infiziert. Verschlimmert hätten sich die Verletzungen durch Pfefferspray, das aggressive Wärter gegen die Gefangenen einsetzten. Die medizinische Unterversorgung vor Ort tue den Rest. »Die entwürdigenden Beschimpfungen der Wärter, darunter das N-Wort und die Aussage, ›ihr Affen beweist nur, dass Darwin recht hatte‹«, verstärkten die Schmerzen der Verletzten obendrein, zitiert Prison Radio.

Die Behörden von Virginia leugneten die Verbrennungen zunächst. Das mit 800 Gefangenen belegte Hochsicherheitsgefängnis Red Onion wurde 1998 erbaut. Sein Neubau unter der Clinton-Regierung versprach Arbeitsplätze in der vom wirtschaftlichen Niedergang gezeichneten ehemaligen Bergbauregion und sollte wohl keine schlechte Presse bekommen. Doch die Wahrheit ließ sich nicht vertuschen. Und obwohl Parlamentarier das Gefängnis besuchten, wodurch »rassistische Misshandlungen, medizinische Vernachlässigung, der Einsatz von Kampfhunden und brutale Haftbedingungen« einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurden, änderte sich nichts, so Prison Radio.

Bei seinen Veröffentlichungen stützt sich das mit Studios in San Francisco und Philadelphia vertretene Radioprojekt auf Kevin »Rashid« Johnson, der selbst in dem Gefängnis einsitzt. Er ist Künstler und Dichter und langjähriger Korrespondent von Prison Radio. 18 Jahre verbrachte »Rashid« in Einzelhaft, erfuhr Repressalien sowie schwere medizinische Vernachlässigung, mutmaßlich, um ihn zum Schweigen zu bringen. Am 5. März wurde ihm ein »Maulkorb« angelegt, indem er für sein Berichte mit einem 45tägigen Telefonverbot bestraft wurde, das ihm die Möglichkeit nimmt, aus dem Gefängnis zu berichten, gab Prison Radio am vergangenen Dienstag bekannt. Dieses Vorgehen reiht sich ein in die zunehmende Repression gegen Whistleblower im Knast.

Inzwischen ist bekannt, dass die Gefängnisverwaltung auch in Erwägung zog, den Häftlingen, die sich selbst in Brand gesetzt haben, die Kosten für die medizinische Versorgung und die Reparatur der beschädigten Zellen in Rechnung zu stellen. Unbeeindruckt davon setzen die Insassen ihren Kampf fort, aber, so Prison Radio, »was sie nicht tun können, müssen wir tun: das Wort ergreifen und Druck ausüben, wo immer wir können – es stehen Menschenleben auf dem Spiel«.

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