Eine indigene Erhebung
Von Thorben Austen, Guatemala-Stadt
Es waren Zehntausende, die von Oktober 2023 bis Januar 2024 in Guatemala auf die Straße gingen. Organisiert von indigenen Verbänden, blockierten sie wochenlang Straßen, um den Amtsantritt des im August gewählten sozialdemokratischen Präsidenten Bernardo Arévalo durchzusetzen. Eine Allianz aus korrupten Politikern und Juristen hatte versucht, diesen mit Hilfe eines »technischen Staatsstreichs« zu verhindern.
Am vergangenen Mittwoch und Donnerstag diskutierten rund 100 Teilnehmer auf einer Konferenz in der Hauptstadt über die Proteste. Das Motto: »Eine indigene Erhebung für die Demokratie? – Reflexionen über den Generalstreik von 2023 und seine Konsequenzen.« Eingeladen hatten die Onlineplattform Prensa Comunitaria und verschiedene Hochschuleinrichtungen. Eine der zentralen Fragen war, warum die indigene Bevölkerung eine Demokratie verteidigte, die sie selbst nicht repräsentierte.
Wie die teilnehmende Anthropologin Gabriela Escobar erklärte, ist die »liberale Demokratie in Guatemala eine Demokratie des Kolonialismus und Rassismus, die die Völker in Armut hält«. In den Gemeinden spielten jedoch die »Kämpfe der Vorfahren« eine große Rolle, in diesem Zusammenhang auch die Erinnerung an die Massaker an der indigenen Bevölkerung in den 1980er Jahren. Daher hätten viele Ureinwohner eine Rückkehr von Autoritarismus und Staatsstreichen verhindern wollen und die »strategisch-taktische Entscheidung« zur Unterstützung Arévalos und des Wahlergebnisses getroffen.
Anixh Pablo, Mitglied der »plurinationalen Regierung« indigener Völker aus dem Norden Guatemalas, ging in seinem Vortrag auf die große Unterstützung der Blockadepunkte ein. Busfahrer hatten Busse zur Verfügung gestellt, Tankstellenpächter spendierten Benzin, als dieser aufgrund der Blockaden knapp wurde, und Tausende Menschen brachten den Blockierern Lebensmittel. Er sprach außerdem einen Vorgang an, der »uns viel Kritik einbrachte«: Luis Pacheco, 2023 Präsident der 48 Kantone, die eine führende Rolle im Widerstand gespielt hatten, wurde im August 2024 von Arévalo zum Vizeminister für Energie und Bergbau ernannt. Doch »unser Widerstand hatte nie das Ziel, an Posten zu kommen«, so Pablo. »Viele Menschen haben durch den Widerstand Arbeit und Ernte verloren und jetzt sitzt einer mit einem hohen Gehalt auf einem Posten, den ihm Widerstand eingebracht hat«, kritisierte er unter dem Beifall der Zuschauer.
Thematisiert wurden auch die Blockaden in Guatemala-Stadt, bei denen es Polizeiübergriffe und Drohungen durch paramilitärische Gruppen gab. Die Autorin und Journalistin Ana Secundina stellte nach den Protesten Nachforschungen in drei ärmeren Stadtteilen an. Während der Coronapandemie, die den Alltag noch erschwerte, habe es in diesen einen »Prozess der Organisierung und Politisierung gerader jüngerer Einwohner gegeben«, erklärte sie. Bekannt wurde vor allem der Protest der Bewohner der Colonia Bethania in der Zone sieben, die eine zentrale Nord-Süd-Verbindungsstraße wochenlang blockierten. Ein Einwohner des Viertels erklärte aus dem Publikum heraus, die Mobilisierung sei »weder Zufall noch spontan« gewesen, sondern aus der »revolutionären Tradition« des Stadtteils entstanden. Er wehrte sich gegen die Behauptung von Politikern, Kriminelle hätten die Blockaden organisiert. Natürlich gebe es vor Ort »einzelne Mitglieder krimineller Banden«, aber insgesamt sei die Kriminalität im Viertel »deutlich zurückgegangen«.
Ein Zuschauer brachte den in Teilen sehr akademischen Charakter der Veranstaltung zur Sprache. Am Anfang sei sein Eindruck ein negativer gewesen, weil er das Gefühl gehabt habe, »Akademiker« würden die Proteste auswerten, ohne die eigentlichen Protagonisten in den Mittelpunkt zu stellen. Allerdings seien Aktivisten zu Wort gekommen und die Themen hätten sich um »Alltagsprobleme« gedreht. Auch Mitorganisator Sergio Palencia zeigte sich gegenüber jW zufrieden mit der Veranstaltung. Die »Reflexion über die Geschehnisse von 2023 ist gelungen, und sie ist wichtig für Bewegungen, um nicht immer wieder bei null anfangen zu müssen«.
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