»Von hohen Funktionären wird das nicht thematisiert«
Interview: Hendrik Pachinger
Seit Oktober liegen die Forderungen der Gewerkschaften für die Tarifverhandlungen von Bund und Kommunen vor. Bis zuletzt gab es kein Angebot seitens des Tarifpartners. Seit Freitag wird in der dritten Runde wieder verhandelt. Warum wurde so lang gemauert?
Schon dass es bis zur dritten Verhandlungsrunde kein Angebot von der Gegenseite gab, ist beispiellos. Faktisch gibt es damit bisher nur das »Angebot« über drei Jahre Nullrunde für alle 2,3 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Das ist für mich völlig unbegreiflich, gerade wenn man bedenkt, dass Nancy Faeser, SPD, Verhandlungsführerin auf seiten des öffentlichen Dienstes ist. Warum wurde im Wahlkampf die Chance nicht genutzt, um diesen 2,3 Millionen Wählern ein Angebot von seiten der Politik zu machen?
Was hat Verdi bisher gefordert?
Acht Prozent mehr Lohn, mindestens aber 350 Euro Zulagen und Zuschläge für die Arbeit zu ungünstigen Zeiten. Das ist für uns in den Krankenhäusern besonders wichtig. 200 Euro mehr für Auszubildende, Studierende und Praktikantinnen bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Außerdem eine unbefristete Übernahme von Auszubildenden und Studierenden in Vollzeit, drei freie Tage mehr und einen zusätzlichen freien Tag für uns als Gewerkschaftsmitglieder.
In vielen Reden während des Streiktags vergangenen Donnerstag in Nürnberg wurde der Zusammenhang zwischen sozialem Kahlschlag und der drohenden Aufrüstung benannt. Wächst das antimilitaristische Bewusstsein in der Gewerkschaft?
Bei Verdi wird das derzeit stark diskutiert. Viele Kolleginnen, die auf der Streikkonferenz eine Woche zuvor waren, waren nun auch mit entsprechenden Parolen auf ihren Schildern bei der Demo unterwegs. In den Reden der Führungsetage wiederum geht es dann darum, dass das Geld für den öffentlichen Dienst durch Vermögenssteuer und ähnliches kommen soll, was ja eine absolut richtige Forderung ist. Aber dass Milliarden für Aufrüstung mobilisierbar sind und gleichzeitig ein Kahlschlag in allen sozialen Systemen geplant wird, das wird leider von hochrangigen Funktionären, wie dem Verdi-Vorsitzenden Frank Werneke, oder in offiziellen Flyern von Verdi nicht thematisiert. Es ist daher gewerkschaftsintern ein heißes Eisen, das diskutiert wird, und wo sich auch was bewegt. Aber es ist auf jeden Fall noch Luft nach oben.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Bei der Streikkundgebung für die TVöD-Runde haben die Stationierungsstreitkräfte aus Grafenwöhr (einer der größten NATO-Truppenübungsplätze in Europa und Hauptquartier der US-Streitkräfte in Bayern, jW) einen Redebeitrag gehalten. Die Stationierungsstreitkräfte fallen nicht unter den TVöD. Sie haben einen eigenen Tarifkonflikt. Ihr Redebeitrag löste aber leider keinen Widerspruch aus.
Mit der Bundestagswahl ist die Berliner Politik noch mal weiter nach rechts gerückt. Inwieweit war das und die Zusammensetzung der neuen Bundesregierung auf der Demo am Donnerstag in Nürnberg Thema?
Die Gefahr der Einführung eines Streikgesetzes, das besonders uns im Krankenhaus als kritische Infrastruktur treffen und das Grundrecht auf Streik einschränken würde, ist natürlich für uns ein absolut existentielles Thema.
Wie geht es weiter?
Gibt es in der dritten Verhandlungsrunde keine Einigung, besteht die Möglichkeit, dass die Arbeitgeber die Schlichtung anrufen. Als Schlichter haben sie sich mit Roland Koch, CDU, einen ausgewiesenen Gewerkschaftsfeind ausgesucht. Als er Ministerpräsident in Hessen war, ist das Bundesland aus dem Tarifvertrag der Länder ausgestiegen. Da ist nichts Gutes zu erwarten, weshalb die Möglichkeit einer vierten Verhandlungsrunde besteht. Zur Vorbereitung gäbe es dann am Mittwoch einen »Delegiertenwarnstreik«. Bei diesem werden nicht alle Klinikbeschäftigten streiken, sondern »nur« Delegierte für jede Station, um die nächsten großen Streiks zu planen.
Anja Schmailzl ist Krankenschwester und Sprecherin der Betriebsgruppe Nordklinikum in Nürnberg und ehrenamtlich im Verdi-Bezirksvorstand Mittelfranken
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