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Aus: Ausgabe vom 20.03.2025, Seite 1 / Titel
Türkei

Putsch am Bosporus

Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu in Haft. Der Oppositionspolitiker gilt als aussichtsreicher Herausforderer von Präsident Erdoğan
Von Nick Brauns
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Trotz Versammlungsverbots strömen Unterstützer von Ekrem İmamoğlu in Istanbul auf die Straße

»Hunderte Polizisten stehen vor meiner Tür. Ich vertraue mich dem Volk an«, erklärte Ekrem İmamoğlu in einem in den frühen Morgenstunden am Mittwoch auf X veröffentlichten Video, das den sozialdemokratischen Istanbuler Oberbürgermeister beim Binden seiner Krawatte zeigt. Wenige Minuten später wurde der Politiker der Oppositionspartei CHP, der als aussichtsreichster Herausforderer des islamistischen Staatschefs Recep Tayyip Erdoğan gehandelt wird, in seinem Haus im Istanbuler Bezirk Sarıyer festgenommen. Neben İmamoğlu wurden bei den Razzien im Morgengrauen über 100 weitere Personen, darunter zwei Bezirksbürgermeister und leitende städtische Angestellte, aufgrund von Haftbefehlen festgenommen.

Um mögliche Proteste gegen den »Putschversuch« – wie der CHP-Vorsitzende Özgür Özel die Festnahmen nannte – zu verhindern, wurden die U-Bahn-Station am zentralen Taksim-Platz und weitere Haltestellen sowie Hauptverkehrsstraßen von der Polizei gesperrt. Der Zugang zu Social-Media-Plattformen sowie Messanger-Apps wurde durch eine Bandbreitendrosselung eingeschränkt. Das Gouverneursamt erließ ein Versammlungsverbot bis zum 23. März. Tausende Studenten, Gewerkschafter und Sozialisten demonstrierten dennoch in der Innenstadt und durchbrachen Polizeisperren.

Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen İmamoğlu lauten auf Unterstützung einer terroristischen Organisation sowie auf Bildung und Leitung einer kriminellen Vereinigung, Korruption und schweren Betrug. Der bereits seit 2019 amtierende İmamoğlu und weitere Bürgermeister der kemalistischen CHP in der Westtürkei hatten bei den Kommunalwahlen vor einem Jahr nur mit Hilfe der als Zünglein an der Waage geltenden kurdischen Wähler gesiegt. Dafür hatte die prokurdische Dem-Partei auf die Aufstellung eigener Kandidaten verzichtet, oder ihre Gemeinderatskandidaten traten auf Listen der CHP an. Diese Kooperation der beiden Oppositionsparteien sei von der illegalen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) orchestriert worden, behauptet nun die mit Erdoğan-Getreuen besetzte Staatsanwaltschaft. Unter diesem Vorwurf waren in den vergangenen Monaten in Istanbul bereits ein CHP-Bezirksbürgermeister, Gemeinderäte und Kommunalangestellte verhaftet worden. Die Verhaftungen seien »ein Versuch, die Initiative zum Wandel zu sabotieren, die in der Türkei beginnt und sich auf den Nahen Osten ausbreitet«, warnte die Dem-Partei am Mittwoch mit Blick auf den von PKK-Gründer Abdullah Öcalan mit seinem Entwaffnungsaufruf an die kurdische Guerilla eingeleiteten Friedensprozess.

Im Februar war bereits Anklage gegen İmamoğlu wegen Beleidigung und Bedrohung des von ihm als Erdoğans »mobile Guillotine« bezeichneten Istanbuler Generalstaatsanwalt Akın Gürlek erhoben worden. Gefordert wird neben einer Haftstrafe auch ein Politikverbot für den 53jährigen. Am kommenden Sonntag wollte sich İmamoğlu bei einer Vorwahl seiner Partei zu deren Kandidat für die 2028 anstehenden Präsidentschaftswahlen küren lassen. Doch am Dienstag hatte die Universität Istanbul sein Diplom aus dem Jahr 1995 für ungültig erklärt. Eine abgeschlossene Hochschulausbildung ist Voraussetzung für das Präsidentenamt. Zweifel an der Echtheit von Erdoğans eigenem Diplom konnten indessen bisher nicht ausgeräumt werden, schon weil die Marmara-Universität, an der er 1981 seinen Abschluss gemacht haben will, erst im folgenden Jahr gegründet wurde.

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