Teile und herrsche
Von Nick Brauns
In Van, tief im Osten der Türkei, feierten am Mittwoch Hunderttausende Kurden ohne die sonst üblichen Polizeiübergriffe das Neujahrsfest Newroz. Dies ist keine Selbstverständlichkeit, schließlich war der Bürgermeister der Stadt erst vor einem Monat unter Terrorismusvorwürfen abgesetzt und Gegenproteste niedergeknüppelt worden. Wenige Stunden bevor in Van das erste Newroz-Feuer entzündet wurde, hatten Polizisten in der westtürkischen Metropole Istanbul Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu sowie rund 100 weitere Oppositionspolitiker unter Terrorismus- und Korruptionsbeschuldigung verhaftet.
Die Methoden der Missachtung des Wählerwillens, die in den vergangenen zehn Jahren dutzendfach gegen kurdische Bürgermeister Anwendung fanden, richten sich nun auch gegen die kemalistische Oppositionspartei CHP. Zum einen erhofft sich Erdoğan so den erneuten Zugriff auf die lukrativen Pfründe der 15-Millionen-Einwohner-Metropole Istanbul. Vor allem aber geht es ihm um die Ausschaltung seines aussichtsreichsten Herausforderers İmamoğlu bei Präsidentschaftswahlen.
Der Zeitpunkt für diesen Staatsstreich der Regierung mit Hilfe ihrer gleichgeschalteten Justiz ist gut gewählt. Mehr als zahnlose Ermahnungen aus Brüssel, Berlin und Washington sind angesichts des mit dem Umsturz in Syrien erneut gewachsenen geopolitischen Gewichts der Türkei nicht zu befürchten. Vor allem aber scheinen der kurdischen Bewegung als einem zentralen Motor der Opposition in der Türkei die Hände gebunden. Denn diese setzt nach dem Aufruf des inhaftierten Gründers der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, zur Waffenniederlegung der Guerilla auf einen Friedensprozess mit der Regierung. Die Situation erinnert an das Jahr 2013. Damals unterstützte die kurdische Bewegung die landesweiten Gezi-Proteste nur halbherzig und rettete so der AKP-Regierung den Hals, weil nach Geheimgesprächen mit Öcalan Hoffnung auf einen Friedensprozess bestand.
Auch heute setzt Erdoğan auf das »Teile und herrsche« gegenüber der Opposition. Der Hauptvorwurf gegen İmamoğlu lautet, sich durch Kooperation mit der prokurdischen Dem-Partei bei den Kommunalwahlen zum Werkzeug der PKK gemacht zu haben. Diese Anschuldigung zielt darauf, den nationalistischen Flügel innerhalb der kemalistischen Oppositionspartei gegen den einer taktischen Zusammenarbeit mit den Kurden nicht abgeneigten sozialdemokratischen Flügel zu stärken.
Ob Erdoğan durchkommt und İmamoğlu bald durch einen staatlichen Zwangsverwalter ersetzt wird, hängt wesentlich davon ab, inwieweit die Dem-Partei den Istanbuler Putsch nicht nur verbal verurteilt, sondern gemeinsam mit anderen oppositionellen Kräften auch auf der Straße den Widerstand aufnimmt. Dies ist zugleich die Voraussetzung dafür, dass der erhoffte Friedensprozess eben nicht zu einem von der Regierung angestrebten Befriedungsprozess wird, sondern wie von Öcalan gefordert zu einem Demokratisierungsprozess.
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