Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 20.03.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Las Vegas Story

Feinfühlig und spektakulär: Pamela Anderson ist »The Last Showgirl«
Von Maximilian Schäffer
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Sinnsuche auf der Hintertreppe des Showgeschäfts: Pamela Anderson als Shelly

Ach, Las Vegas – der vielbesungene Seufzer einer Stadt. Angst und Schrecken hausen hier, Tür an Tür mit Sucht, Sehnsucht und Vergnügen. Las Vegas ist die Ausgeburt einer Gesellschaft, die nur Opfer und Trost kennt. Und je größer die persönlichen Opfer, desto größer das Verlangen nach kindischer Katharsis. Also zocken, bumsen, rauchen, saufen, quietschen, heulen und schießen. Früher einmal, da war Las Vegas für die Massen mit dem kleinen bisschen Wohlstand gedacht. Das Klischee der billigen Vergnüglichkeit für den Stahlarbeiter aus Los Angeles, angekarrt mit dem ersten eigenen Automobil. Bald schon flog auch der Stahlarbeiter aus Pittsburgh ein, zum Schleuderpreis sein Geld vor Ort zu verschleudern. Und ebenso teilte man Las Vegas bald wieder, wie es sich für Klassengesellschaften geziemt. Downtown war zu schmutzig geworden für die Besserverdiener, die sich aber nach ebenso kleingeistiger Unterhaltung sehnten.

Der Las Vegas Boulevard unterteilt die Kundschaft bezüglich ihres Geldbeutels. Auf dem sogenannten Strip sind die Hotels luxuriös, das Essen ist teuer, und jedes zweite Casino verbirgt sein eigenes Varietétheater hinter Spachtelfassaden von Venedig, Paris und dem alten Rom. Die Shows in diesen Theatern bewegen sich seit gut 70 Jahren traditionell zwischen Glamour und Schmuddelkiste. Während derzeit im »Wynn Casino« der Weltstern Lionel Richie singt, wackeln im »Lamarre Theater«, auf einer Nebenstraße des Strips gelegen, schlicht und einfach »Black Girls« magisch mit Sternchen auf den Busen. Von der Welt letzterer Bühnendarbietungsform und ihren Darstellerinnen handelt der Film »The Last Showgirl«. Und sicherlich ist er nicht der erste, der ein wohlbekanntes Lamento auf Las Vegas oder aufs erotische Gewerbe singt.

Besonders aber ist der Spielfilm von Gia Coppola wegen seiner Hauptdarstellerin: Pamela Anderson passt ins Rotlicht von Las Vegas genauso hervorragend, wie sie ihm widerspricht. Allseits bekannt war die heute 57jährige Kanadierin das Sexsymbol und Playgirl der 90er schlechthin. Hauptrollen in den Serien »Baywatch« und »V.I.P. - Die Bodyguards«. Im Jahr 2007, als sie dem Illusionisten Hans Klok bei einem Gastspiel in der Glücksspielmetropole assistierte, heiratete sie kurzerhand den Pokerspieler Rick Salomon in der berühmten Expressheiratskapelle »The Little White Chapel«. Heute ist Anderson in vielerlei Hinsicht ins ernste Fach gewechselt. Sie setzt sich für Tier- und Arbeiterrechte ein, unterstützte beispielsweise Frankreichs Gelbwestenbewegung sowie Julian Assange öffentlich und spielt tragikomische Charakterrollen wie die Tänzerin Shelly Gardner.

Shelly, Protagonistin dieses Films, wird von dem Wandel im Showbusiness überholt und von ihrem Körper. Sie ist die dienstälteste unter den Mädels im Spektakel namens »Le ­Razzle Dazzle« – einem Galaabend mit Kopfschmuck und Pailletten aus dem 19. Jahrhundert. Die Belle Époque ist in Las Vegas aber leider langsam genauso abgenutzt wie Shellys nackte Haut und Knie. Als die Show nach über 30 Jahren eingestampft wird, steht Shelly auf der Straße. Man weiß, wie das mit der sozialen Absicherung in den USA so ist, doch geht die Krise der Tänzerin über materielle Sorgen hinaus.

Langsam muss sich Shelly also mit den Argumenten für und gegen ihren Lebenstraum beschäftigen. Klar, da ist die Schwerelosigkeit auf der Bühne, die Selbstermächtigung der Begafften, die Macht des Begehrtwerdens. Trotz schlechter Schulbildung hat sie es schließlich zu Glanz und Kultur gebracht, nicht Fa­brik oder heimischer Herd. Immer lauter aber klopfen die Gegenargumente an die Tür, auch ganz physisch in Form ihrer nichtehelichen Tochter Hannah (Billie Lourd). Deren Existenz nämlich ist ganz real und bei weitem kein Zeitvertreib. Hannah wuchs als Ballast einer Künstlerin auf – und zeigt es ihr. Die Show ihrer Mutter findet sie leer und billig, wägt das Berufsfeld eher im Bereich der Prostitution. Überhaupt Las Vegas? Was ist das schon, eine Wüste voller verblendeter Versager? So einfach ist es nicht, denn auch Shelly, bei allem mädchenhaften Idealismus, will ernst genommen werden und bemüht sich. Um sich selbst und ihre Tochter.

»The Last Showgirl« ist ein feinfühliger Film mit einer spektakulären Pamela Anderson, der man diese vielleicht nicht gebrochene, aber doch mitgenommene Frau zwischen kindlicher Naivität und ernsthafter Sinn­suche vollends abkauft. Wer sich gerne daran erinnert, was in Las Vegas verkauft wird und was nicht, und welche Ausgaben ein Leben erfordert, sollte diesmal ins Kino gehen.

»The Last Showgirl«, Regie: Gia Coppola, USA 2024, 88 Min., Kinostart: heute

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