Ohrfeige für die Knüppelgarde
Von Philip Tassev
Wer schon einmal Polizeigewalt erlebt hat, weiß, welch traumatische Erfahrung das sein kann. Besonders für Menschen, die noch Illusionen über den bürgerlichen Staat hegen und gegen Neonazis oder Umweltzerstörung auf die Straße gehen – also für Belange, die auch vom liberalen Mainstream theoretisch gutgeheißen werden – und dafür von Polizisten Schläge oder Pfefferspray kassieren, bricht dann oft eine vermeintlich heile Welt zusammen. Wenn dann Gerichte nachträglich feststellen, dass die erlebte Gewalt rechtswidrig war, ist das zwar oft nur ein schwacher Trost, zeigt aber immerhin, dass sich auch die staatlichen Repressionsorgane nicht immer an die Gesetze halten, deren Einhaltung sie angeblich sicherstellen.
Ein aktuelles Beispiel lieferte das Berliner Verwaltungsgericht. Die Richter verurteilten am Donnerstag die Anwendung von Schmerzgriffen durch Polizeibeamte gegen einen jungen Aktivisten der Klimagerechtigkeitsbewegung »Letzte Generation«. Der 21jährige Lars R. hatte sich am 20. April 2023 an einer Demonstration der Gruppe in Berlin beteiligt. Der Aufzug wurde von der Polizei gestoppt, woraufhin sich die Demonstranten auf den Boden setzten. Die Beamten begannen daraufhin, die Sitzblockade unter Einsatz von Gewalt zu räumen. Laut R. sei ihm von Polizisten gedroht worden, wenn er sich nicht freiwillig entferne, werde er tagelang nicht kauen und schlucken können. Als er sich dennoch weigerte, die Fahrbahn zu verlassen, wurde er mit Hilfe von Schmerzgriffen und Nervendrucktechniken weggeschafft. Ein Kamerateam des MDR filmte damals das Geschehen. Aus Sicht des Gerichts war die Anwendung von Schmerzgriffen unverhältnismäßig und nicht erforderlich. Die Polizei habe ausreichend Einsatzkräfte vor Ort gehabt, um den Aktivisten einfach von der Straße tragen zu können. Es habe keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass sich R. aktiv gegen das Wegtragen wehren würde.
Der Verein »Rückendeckung für eine aktive Zivilgesellschaft« (RAZ), der nach eigenen Angaben Klimaaktivisten bei der rechtlichen und psychologischen Bewältigung von Repression hilft, hatte die Klage von R. unterstützt. Eine Sprecherin des Vereins bezeichnete das Urteil nach der Verkündung als »Präzedenzfall«, der »Konsequenzen für den Schutz von Protestierenden sowie die Wahrung der Versammlungsfreiheit und den Schutz demokratischer Grundrechte haben« müsse. Die Möglichkeit zum friedlichen Protest sei »ein zentraler Bestandteil einer lebendigen Demokratie und ein wesentliches Element zivilgesellschaftlichen Engagements«. Die Klage habe daher »einen wichtigen Beitrag« dazu geleistet, »demokratische Handlungsspielräume zu verteidigen«. Mit dem Urteil werde zum ersten Mal bestätigt, »dass der polizeiliche Einsatz von Schmerzgriffen bei friedlichen Sitzblockaden nicht das mildeste Mittel (Wegtragen) und damit rechtswidrig ist«, teilte der Verein weiter mit.
Der Kläger Lars R. kommentierte die Gerichtsentscheidung mit den Worten, er sei »unglaublich froh über das Urteil«. Die Art und Weise, wie die Beamten ihn behandelt hatten, bezeichnete er als entwürdigend. »Zwar ging es in diesem Verfahren um meinen Fall, ich bin dabei aber ersetzbar, denn Tausende andere haben ähnliche, oft noch schlimmere Erfahrungen bei friedlichen Versammlungen und Sitzblockaden gemacht. Das kann so nicht weiter hingenommen werden.«
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