Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 21.03.2025, Seite 5 / Inland
Depot des DDR-Museums

Zeitgeist im Depot

Eintauchen ins sozialistische Wirtschaftsgebiet: Das DDR-Museum hat sein Lager in Berlin-Marzahn eröffnet. Eine Millioneninvestition
Von Michael Merz
»Unser Fokus liegt auf dem Alltag in der DDR«: Historiker Eric Strohmeier-Wimmer im Depot des DDR-Museums
Die umfangreiche Fahrzeugsammlung des Depots in Berlin-Marzahn beherbergt unter anderem 140 Motorräder
Im »Klub der Funktionäre« lassen sich unter anderem zeitgenössische Alkoholika bestaunen

Das direkte Umfeld spricht nicht für Attraktionen: Die S-Bahn rattert, auf der mehrspurigen Landsberger Allee rauschen die Autos durch, und das ergraute Orwo-Haus mit seinen Bandproberäumen hat auch schon bessere Zeiten gesehen. Um die Ecke gibt es was zu entdecken: Eine nagelneue Halle schimmert silbern in der Sonne. Davor steht die riesige Skulptur »Tankhenge« – auseinandergeschnittene Panzer, die Anfang der 1990er Jahre vor dem Reichstagsgebäude zu bestaunen waren. Aber eines muss der wissenschaftliche Leiter Eric Strohmeier-Wimmer gleich klarstellen: »Wir sind kein Museum.« Mancher Besucher mag mit anderer Erwartungshaltung hierher in die Berliner Peripherie gekommen sein. Doch es handelt sich um ein Depot. Das des DDR-Museums, einem äußerst beliebten Touristenmagneten im Herzen der Hauptstadt, jedoch mit begrenzten Kapazitäten. »Und manche Leute sind dann ganz überrascht, hier in Marzahn ein Lager vorzufinden, das es nun mal ist.«

Ein Lager, ja. Eines, das es in sich hat. Etwa 360.000 Objekte sind hier untergebracht – »unser Fokus liegt auf dem Alltag in der DDR, also im Prinzip alles, von der Zahnbürste bis zum Trabi«. Und seit vergangenem Wochenende ist die Sammlung an drei Tagen in der Woche öffentlich zugänglich, eine Führung ist online für fünf Euro buchbar. Das Interesse an den Gegenständen aus dem sozialistischen Staat – oft hergestellt für die Ewigkeit, das heute in der Industrieproduktion verbreitete bewusste Verkürzen der Lebensdauer war schon wegen knapper Rohstoffe ausgeschlossen – ist enorm. »Mit einem derartigen Ansturm hätten wir nicht gerechnet«, sagt Strohmeier-Wimmer. 400 Menschen waren es allein am Sonntag. Natürlich sind das in der Mehrzahl die in der DDR sozialisierten. Viele spenden Sachen aus dem eigenen Hausstand, füllen dazu im Büro des Depots neben den Wohnzimmerschränken von Wilhelm Pieck und der Familie Ulbricht ein Formular aus. »Die Leute teilen sich mit«, für den Wissenschaftler ein wichtiger Aspekt, die Geschichte dahinter zu erfahren. Da muss die professionelle Distanz auch mal weichen.

Eine ziemliche Katastrophe beförderte den Aufbau des Depots. Ende 2022 war in einem Hotel in Berlin-Mitte ein 16 Meter hohes Riesenaquarium, der Aquadom, geplatzt. Es floss rund eine Million Liter Wasser in die umliegenden Straßen und Geschäfte. Das private DDR-Museum nebenan musste für mehrere Monate schließen. Es war die Gelegenheit, dessen umfangreiche Sammlung von Berlin-Spandau nach Marzahn zu verlagern. Die Gesamtkosten für Neubau und Umzug beliefen sich auf rund drei Millionen Euro. Das Depot bietet klimatisierte Räume und wird mit Energie aus erneuerbaren Quellen versorgt. Optimale Bedingungen zum Sammeln und zum Lernen. Bei den Besuchertouren wird es jedenfalls nicht bleiben – auch Schulklassen sollen ab April mit Workshops die DDR kennenlernen. Die wissenschaftliche Aufarbeitung des sozialistischen Staates habe sich schon verändert, weiß Strohmeier-Wimmer. Standen zunächst Stasi und Diktatur im Vordergrund, sei heute Vielfalt angesagt; es werde in die Breite gegangen. »Die DDR sollte als Teil eines zeithistorischen Konstrukts vermittelt werden.« Der Zeitgeist als Forschungsgegenstand. So gibt es zum Beispiel auch einige Sanyo-Farbfernseher, die japanischen Modelle gingen zum 30. Republikgeburtstag sauteuer über den Ladentisch.

In der älteren der beiden Hallen, früher gehörte sie dem VEB Kraftverkehr, ist die Fahrzeugsammlung untergebracht – sie zeigt die DDR als das Land der Motorradfahrer. 140 Zweiräder gibt es, darunter echte Schmuckstücke wie die MZ Brasil oder in Eisenach produzierte BMWs. In der neuen Halle riecht es nach frischer Farbe; in den Regalen ist hier und da noch ein Plätzchen frei. Multifunktionssitze aus dem Palast der Republik, seltene Uniformen, Tanksäulen. Alles sehr aufgeräumt. Verschiedene Dekaden sind im »Klub der Funktionäre« zu erleben – Polstermöbel und Schrankwände, hinter deren Türen adventskalenderartig diverse Themen zur Sprache kommen. Bis hin zu Alkoholika mit Originalinhalt. Sich in den Alltag der DDR einzufühlen, hier gelingt das. Und das Lager wächst und wächst.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (21. März 2025 um 09:31 Uhr)
    DDR-Museum? Sollte ich da mal hingehen? Die kurze Recherche verheißt nichts Gutes. Wikipedia schreibt: »Ein nachgebauter Verhörraum, eine Arrestzelle und ein Spitzel-Raum geben Einblicke in die Arbeit der Staatssicherheit (…) Wissenschaftlicher Leiter war seit der Eröffnung bis Dezember 2024 Stefan Wolle (…) Seit 2025 steht dem DDR-Museum der Historiker und Publizist Ilko-Sascha Kowalczuk in wissenschaftlichen Belangen zur Seite«. Was für ein Zufall: »Von 1998 bis 2000 war Stefan Wolle Referent bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur«. Zu Ilko-Sascha Kowalczuk erfahren wir: »Von 1998 bis 2000 arbeitete er als wissenschaftlicher Referent in der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur«. In https://www.ddr-museum.de/de/museum/ausstellung heißt es vor dem Button »Tickets kaufen«: »Mauer und Stacheldraht schirmten die DDR vom Westen ab, im Inneren wachte die Staatssicherheit. (…) Die Ausstellung besteht aus thematischen Blöcken, die Aspekte wie Bildung, Arbeitsleben, Urlaub, Einkaufen, Sport, Wirtschaft, Umwelt, die Stasi und ihre Überwachungsmethoden sowie Ideologie umfassen«. Unter dem jW-Foto Nr. 3 steht: »Im ›Klub der Funktionäre‹ lassen sich unter anderem zeitgenössische Alkoholika bestaunen«. Nun wird mir auch klar, was dem einfachen DDR-Bürger vorenthalten wurde, während die Funktionäre in Saus und Braus lebten. Muss man noch mehr wissen? Vielen Dank.

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