Wissenschaft vs. Staatsräson
Von Annuschka Eckhardt
Einst Hort des antiimperialistischen Westberliner Widerstands, schnurrt die Freie Universität Berlin nun zahmer als ein Kätzchen im Schoß des Berliner Senats. An der FU sollte am 19. Februar eine Diskussionsveranstaltung mit der UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese, und Eyal Weizman, dem Gründer der Rechercheorganisation Forensic Architecture, in den Räumen der Universität stattfinden. Eine Gruppe von Professoren hatte Albanese eingeladen, um über den laufenden Genozid im Gazastreifen zu referieren. Kurzfristig wurde diese Einladung zurückgezogen. Unipräsident Günter Ziegler begründete den Schritt im Akademischen Senat der Universität mit der »umfassenden Kontroverse« im Vorfeld der für den 19. Februar angesetzten Veranstaltung sowie mit »Sicherheitsbedenken«.
Zuvor hatte Berlins regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) die Universität zur Absage aufgefordert. Auch Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) hatte Druck ausgeübt. Der israelische Botschafter in der BRD, Ron Prosor, beschwerte sich mit den Worten: »Ist die Freie Universität ein Trainingscamp für Hamas-Anhänger?« Zur Erinnerung: Die äußerst sympathische Italienerin Albanese ist von der UN.
Das undurchsichtige Verhalten der Hochschule wie auch des Senats im Namen der Staatsräson statt der Wissenschaft rief doch einige Fragen auf. Alexander King, Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin und Kolandesvorsitzender des BSW Berlin stellte Anfang März eine schriftliche Anfrage an das Berliner Abgeordnetenhaus. Die Antwort liegt nun junge Welt exklusiv vor. Die Verantwortlichkeit für den – gelinde gesagt – unhöflichen Umgang mit international anerkannten Persönlichkeiten wie Weizman und Albanese möchten weder Hochschule noch Senat übernehmen.
»Wer genau hat den Präsidenten der FU Berlin, Prof. Ziegler, nachdrücklich dazu aufgefordert …, die Veranstaltung sofort abzusagen (vgl. Erklärung gegenüber dem Akademischen Senat am 12. Februar, veröffentlicht auf der Homepage der FU)?« fragt King. Antwort aus dem Abgeordnetenhaus: »Nach Angaben der FU wurde eine Absage von Privatpersonen sowie von einzelnen Verbänden gefordert. Der Regierende Bürgermeister von Berlin hatte in einem Statement am 11. Februar 2025 gegenüber der dpa und der Bild-Zeitung erklärt, dass er von der Freien Universität erwarte, dass die geplante Veranstaltung mit Frau Albanese umgehend abgesagt werde.«
Wissenschaftschef Wegner entscheidet also über den akademischen Diskurs in der Hauptstadt? »Dieser Vorgang ist ein gefährlicher Präzedenzfall: Die Meinungsfreiheit in Deutschland und der freie wissenschaftliche Diskurs an unseren Universitäten sind in Gefahr, wenn der Regierende Bürgermeister sowie Verbände und ›Privatpersonen‹ Druck auf die Hochschulen ausüben können, um unliebsame Veranstaltungen zu verhindern«, kritisierte King am Mittwoch gegenüber jW.
Auch ein alternativer Ort für die Veranstaltung mit Albanese und Weizman war so bedrängt worden, dass die Betreiber einknickten und die Veranstaltung »Reclaiming the Discourse. Palestine, Justice, and the Power of Truth« am Morgen des 18. Februar absagten. Die junge Welt sprang spontan ein: Nicht weniger als 22 Polizeiwagen umstellten die Räumlichkeiten weitläufig. Unter Druck setzen ließ sich der Verlag 8. Mai nicht.
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Leserbrief von Rayan aus Unterschleißheim (21. März 2025 um 06:15 Uhr)Das war eine richtig gute Aktion der jW und Unterstützer. Aber bitte nichts gegen schnurrende Kätzchen. Die sind süß. Bessere Vokabeln und Bilder für den Vorgang wären z. B. braun verschmierte Hinterteile von Kriegsverbrechern, in denen quasi-mörderische Propagandaschranzen so tief stecken, dass sie sich zwar noch winden, aber ihre Position nicht wirklich verbessern können. Oder auch Wörter wie Huren und Nutten des Kapitals, in asexuellem Sinne versteht sich, d. h. ohne jegliche Diffamierung von freiwilligen Sexarbeiter:innen oder unfreiwilligen -Sklav:innen. Aber »süße schnurrende Kätzchen«.
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