Erinnerung an eine dunkle Ära
Von Thomas Berger
Ist Indonesien auf dem Weg zurück in die Diktatur? So weit würde im Augenblick wohl noch kaum jemand im Land gehen. Aber vor allem Menschenrechtsgruppen, die vor gut einem Jahr schon im Vorfeld der Präsidentenwahl vor einem Sieg des jetzigen Staatschefs Prabowo Subianto warnten, zeigen sich alarmiert. Denn am Donnerstag hat das Parlament ein Gesetz beschlossen, das dem indonesischen Militär künftig wieder eine größere Rolle auch im zivilen Leben einräumt. 14 ranghohe Posten in verschiedenen Bereichen staatlicher Ämter, vom Generalstaatsanwalt bis zum Leiter der Drogenbehörde, sind nun für aktive Armeeangehörige geöffnet. Man fühle sich damit an die sogenannte Neue Ordnung unter Suharto erinnert, heißt es mahnend, obwohl die Regierung nach der breiten Zustimmung zu der Vorlage um Abwiegeln bemüht war.
»Präsident Prabowo scheint eine Wiederherstellung des Militärs in zivilen Belangen anzustreben, die lange durch Missbrauch und Straflosigkeit gekennzeichnet war. Die Eile, mit der die Regierung diese Gesetzesergänzungen durchgesetzt hat, widerspricht ihren Bekenntnissen zu Menschenrechten und Verantwortung«, wurde Andreas Harsono, Indonesien-Experte von Human Rights Watch, am Donnerstag vom Guardian zitiert. Auch Vertreter anderer Menschenrechtsgruppen im In- und Ausland zeigten sich beunruhigt. »R. I. P. Reform«, heißt es im Titel eines Beitrags der Tageszeitung Jakarta Post. »Orde Baru strikes back« (Die Neue Ordnung schlägt zurück) war Ende der Woche auf Plakaten bei Protestaktionen in Jakarta und anderen Städten zu lesen.
»Seit 1998 hat es einen schleichenden Mord an der Demokratie gegeben, heute ist der Gipfelpunkt: Die Demokratie ist vom Repräsentantenhaus getötet worden«, fand gegenüber der BBC der Aktivist Wilson, Mitglied der Commission for the Disappeared and Victims of Violence, am Abstimmungstag besonders drastische Worte. Zwei Tage später gab es mutmaßlich einen ernsten Anschlag auf die Pressefreiheit: In der Redaktion von Tempo, einem betont regierungskritischen Medienhaus, ging ein Karton mit sechs enthaupteten Ratten ein. Schon am Donnerstag hatte ein Reporter einen Schweinekopf ohne Ohren erhalten. Von einem klaren Einschüchterungsversuch sprach Beh Lih Yi, die Asienverantwortliche des Committees to Protect Journalists, am Sonnabend gegenüber AFP.
Prabowo war früher General einer berüchtigten Spezialeinheit und zeitweise Suhartos Schwiegersohn. Der Atatürk-Bewunderer, der sich öffentlich voll zu demokratischen Grundwerten bekennt, hatte 2014 und 2019 erfolglos gegen seinen rechtsliberalen Amtsvorgänger Joko Widodo kandidiert, der ihn später zum Verteidigungsminister machte. Widodos ältester Sohn ist nun der junge Vizepräsident des 73jährigen, der seit Amtsantritt im Oktober zunächst vor allem im wirtschaftlichen und sozialen Bereich deutliche Reformen angestoßen hatte und mit seiner Superkoalition im Parlament eine erdrückende Mehrheit hat. Nun macht sich vielerorts im Land neue Besorgnis breit.
Drei Jahrzehnte lang hatte Diktator Mohammed Suharto (1921–2008) von Mitte der 1960er Jahre bis zu seinem Sturz 1998 Indonesien mit eiserner Hand regiert. Regelmäßig stattfindende Wahlen mit zumindest einigen Parteien waren nur eine Fassade. Hinter den Kulissen waren es die eigenen Seilschaften des autokratischen Langzeitpräsidenten im Staatsapparat und vor allem das Militär, die seinen Herrschaftsanspruch absicherten. Schließlich entstammte er selbst der Armee. Mit einem CIA-geförderten Militärputsch hatte er 1965 den früheren, sich zur Blockfreienbewegung und einem progressiven Entwicklungsmodell bekennenden Präsidenten Sukarno gestürzt. Dem antikommunistischen Terror fielen Millionen Menschen im Inselstaat zum Opfer, andere Oppositionelle landeten auf Jahre im Gefängnis, regionale Erhebungen für Selbstbestimmung wie in Aceh, Papua und dem besetzten Osttimor (heute als Timor-Leste ein eigener Staat) wurden brutal unterdrückt. Die Verbrechen aus jener dunklen Ära sind bis heute erst zu einem winzigen Bruchteil aufgearbeitet.
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