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Aus: Ausgabe vom 25.03.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Humanitäre Katastrophe

Afghanistan vor Kollaps

Kein Geld für Entwicklungshilfe, am Hindukusch droht tödliche Katastrophe – was Biden startete, bringt Trump zu Ende
Von Luca Schäfer
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Ein unterernährtes Baby wird in einem Gesundheitszentrum in Herat behandelt (Oktober 2024)

Mit der Flucht der US-Besatzungssoldaten 2021 kam ein weiteres, blutiges Kapitel zu seinem vorläufigen Ende – die Rückkehr der islamistischen Taliban in den Kabuler Präsidentenpalast bescherte Frauen die häusliche Isolation, der Gesellschaft westliche Sanktionen und eine existenzbedrohende Gesundheitsversorgungskrise. Auf eine weitere Zuspitzung dieser Situation macht ein neuer Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aktuell aufmerksam. Die, primär in ländlichen afghanischen Gebieten, auf ausländische Entwicklungshilfe angewiesene Erstversorgung von Patienten steht vor dem Kollaps. Aufgrund fehlender Fördergelder sind 80 Prozent der von der WHO betriebenen Zentren vom Aus bedroht – der medizinische Blackout wird wohl im Juni nicht mehr abzuwenden sein. In der ethnisch gemischten Bevölkerung von 40 Millionen Menschen sind 3,4 Millionen bis 15 Millionen akut vom Ausschluss von der medizinischen Grundversorgung betroffen. Jeder zweite Afghane ist auf humanitäre Hilfe angewiesen – die Folgen der Kürzungen sind kaum kalkulierbar, ein enormer Anstieg der Todesfälle droht. Der Leiter der WHO-Gesundheitsabteilung in Afghanistan, der philippinische Arzt und erfahrene Krisendiplomat Edwin Salvador, führt aus, dass die Schließungen »nicht nur für Zahlen in einem Bericht« stehen würden, sondern konkrete Folgen haben werden – tödliche Krankheitsausbrüche und fehlende Kinderimmunisierungen.

Die Warnungen sind nicht neu: Die westliche NGO Ärzte ohne Grenzen berichtete schon 2022 von einer sich zuspitzenden humanitären Katastrophe. Weibliches Gesundheitspersonal war aus der Erwerbstätigkeit gedrängt, das Guthaben der afghanischen Zentralbank in Höhe von sieben Milliarden US-Dollar eingefroren worden – bei stagnierenden Löhnen und steigenden Preise konnten sich 95 Prozent der Befragten keine ausreichende Menge an Grundnahrungsmitteln leisten. Das Durchschnittsalter liegt bei 19 Jahren – und selbst dieses Alter zu erreichen, ist angesichts einer hohen Kindersterblichkeit nicht die Regel, wie die Deutsche Welle 2024 vermeldete.

Ex-US-Präsident Joe Biden legte bereits 2021 das verbliebene Vermögen eines der ärmsten Länder der Welt auf Eis, das afghanische Zentralbankguthaben im Volumen der Hälfte des Bruttoinlandsproduktes des Landes. Die »Unfreeze«-Kampagne blieb bislang erfolglos. Bildung und öffentliche Verwaltung sitzen seither finanziell auf dem Trockenen, die Weltbank strich ihre Kreditförderungen. Die Hälfte des Raubgutes landete in der Schweiz, verwaltet von einem Beamten des US-Finanzministerium – damit sollen bis heute Entschädigungen und juristische Ansprüche in Folge der Anschläge vom 11. September 2001 und der Taliban-Herrschaft ausgeglichen werden. Zur Erinnerung: Keiner der »9/11«-Tatverdächtigen stammte aus Afghanistan, es waren die US-Falken, welche in der Folge das Land in Schutt und Asche legten, nachdem sie die Mudschaheddin selbst als Mordbrenner gegen die sowjetisch beeinflusste Demokratische Republik Afghanistan bis an die Zähne bewaffnet hatten.

Während Biden das Finanzguthaben attackierte, legen Donald Trump und sein Intimus Elon Musk nun die Spaltaxt an die Staatsausgaben – der US-Klassenstaat soll unter anderem auf eine Auseinandersetzung mit China getrimmt werden. Dazu werden 21 Milliarden US-Dollar Hilfsgelder für Afghanistan gestrichen. Die deutsche Politik reagiert bisher auf den Ausfall der transatlantischen Freunde nicht. Berlin schob hingegen Ende August 2024 erstmalig seit der Machtübernahme der Taliban wieder Menschen gen Kabul ab. Es traf 28 angebliche »Straftäter« und »Gefährder«. Weitere Abschiebungen drohen unmittelbar, wie der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg analysiert hat. Die deutsche Entwicklungshilfe kann und will, ebenso wie die anderen EU-Staaten, nicht die entstandenen Lücken füllen. Berlin stellte exemplarisch 2023 eine eher lächerliche Summe von 371 Millionen Euro bereit. Die Kooperation mit der Taliban-Regierung wird seitens der Bundesregierung bisher vermieden, die Entwicklungshilfe war zunächst ausgesetzt gewesen. Die Zeche zahlt das leidende afghanische Volk

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