»Radio Begum ist eine Form von Widerstand«
Interview: Max Grigutsch
Radio Begum ist ein afghanischer Sender für Frauen. Die Taliban haben Ihnen die Sendeerlaubnis entzogen. Wie kam es dazu?
Anfang Februar drangen Mitglieder der Generaldirektion für Geheimdienste sowie ein Taliban-Agent des Ministeriums für Information und Kultur gewaltsam in unser Büro ein. Sie gingen brutal mit meinen Kolleginnen und Kollegen um, insbesondere mit den Frauen. Sie beschuldigten uns, mit ausländischen Medien zusammenzuarbeiten und ihnen Informationen zu liefern, die das Islamische Emirat Afghanistan untergraben. Ihr indirektes Ziel muss Begum TV gewesen sein, das von Frankreich aus sendet. Radio Begum mit Sitz in Afghanistan macht keine Politik. Sie haben zwei Kollegen mitgenommen. Die beiden sind immer noch im Gefängnis.
Was wird Ihnen vorgeworfen?
Wir hatten große Schwierigkeiten, zu verstehen, was die Anschuldigungen gegen uns sind. Vor knapp zwei Wochen erhielten wir eine Stellungnahme vom Ministerium: Alle Anklagen wurden fallengelassen. Aber als wir unser Studio wieder eröffnen wollten, intervenierte jemand vom Geheimdienst und sagte, dass sie die Erklärung des Ministeriums nicht akzeptieren würden. Eine Abteilung erkennt die Entscheidung der anderen nicht an. Dieser Zwischenzustand ist in Afghanistan unter diesem Regime normal. Es ist ein administrativer Limbo. Wir können nur warten, und die Frauen sind sehr verunsichert. Sie machen sich große Sorgen um die Zukunft und ihren Arbeitsplatz, denn die meisten von ihnen sind die einzigen Ernährer ihrer Familien.
Sie haben das Radio am Frauenkampftag 2021 gegründet. Was war der Zweck?
Ich hatte erwartet, dass sich die Situation in Afghanistan ändern würde. Wir waren sehr besorgt, als die Trump-Regierung mit den Taliban verhandelte. Ich habe Radio Begum gegründet, um meinen Schwestern die Möglichkeit zu geben, ihre Stimmen zu erheben und sich weiter für unsere Rechte einzusetzen. Zunächst dachten wir, dass die Taliban in die damalige Regierung eingebunden werden würden. Wir haben nicht damit gerechnet, dass die Regierung zusammenbrechen und der Präsident mit dem gesamten Parlament fliehen würde.
Genau das ist dann passiert. Wie hat sich die Situation für Sie und Ihren Sender entwickelt?
Am 15. August 2021, als die Taliban die Macht übernahmen, war ich nicht im Land. Ich telefonierte mit meinen Kolleginnen, sie hatten Angst. Ich sagte ihnen, dass nichts passieren würde. Wir hatten nie etwas gegen die Taliban gesagt und waren nicht in Politik involviert, außer dass wir die Leistungen von Frauen hervorhoben. Wir setzten unsere Aktivitäten fort. Aber man begann, sich selbst zu zensieren. Anstelle von Popmusik spielten wir sehr leise und religiöse Musik. Das war ein Zeichen dafür, dass wir die Bedeutung der Veränderung erkannten. Sobald ich nach Afghanistan zurückkehren konnte, gingen mein Direktor und ich zu den Behörden, um unsere redaktionelle Linie vorzustellen. Ich sagte ganz offen, dass wir Frauenbildung senden. Der damalige Verantwortliche war aufgeschlossen. Er ermutigte uns sogar, weiterzumachen. Das war etwa im Oktober 2021. Aber im März 2022 schloss die Regierung alle Schulen für Mädchen. Seitdem wurden viele Erlasse gegen Frauen verkündet. Für Radio Begum, für alle Medien galten neue Regeln. Die Zensur wurde sehr streng.
Wie hilft Radio Begum Frauen seither?
Unser erstes Mandat ist die Bildung. Wir senden sechs Stunden Schulunterricht pro Tag. Wir haben auch ein religiöses Beratungsprogramm, in dem wir über Frauenrechte aus der Perspektive des Islam sprechen. Außerdem haben wir Gesundheitsprogramme, insbesondere mentale Gesundheit, bei denen Ärzte über Themen wie Mutterschaft, Gynäkologie, Empfängnisverhütung sprechen. Aber Tag für Tag nimmt die Zensur zu. So wurden Sendungen über Empfängnisverhütung oder Anrufe von Männern verboten. Die meisten unserer Sendungen sind Call-in-Programme. Zum Beispiel haben wir Psychologen, die Fragen von Frauen beantworten, die aus dem ganzen Land anrufen.
Radio Begum ist ein geschützter Raum, in dem Frauen ihre Meinung äußern können, anonym und günstig. Die meisten Anruferinnen beschweren sich über Gewalt in ihren Familien. Die Last wird immer schwerer auf ihren Schultern. Wir wollen da sein, um ihnen zuzuhören. Wir wollen, dass unser Radio wieder senden kann. Radio Begum ist eine Form von Widerstand.
Hamida Aman ist Gründerin der »Begum Organization for Women«, die Radio Begum und Begum TV herausgibt
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