Hauptsache abschieben
Von Kristian Stemmler
Der Angriff auf eine Streikkundgebung von Verdi am Donnerstag in München wird – wie schon die Anschläge von Magdeburg im Dezember und Aschaffenburg im Januar – im zu Ende gehenden Wahlkampf instrumentalisiert. So forderte CSU-Chef Markus Söder eine Woche vor der Bundestagswahl in der Bild am Sonntag sofortige Verhandlungen mit den in Afghanistan regierenden Taliban, um wöchentliche Abschiebungen in das Land zu ermöglichen. »Erst Aschaffenburg, jetzt München – es reicht«, sagte Söder dem Boulevardblatt, das seine Forderungen als »knallharten Fünfpunkteplan« bejubelte. Deutschland müsse ausreisepflichtige Afghanen umgehend abschieben.
Bei seinem Vorstoß überging der bayerische Ministerpräsident geflissentlich, dass der Täter von München, der Afghane Fahrad N., weder ausreisepflichtig war noch Straftaten begangen hatte – also gar nicht hätte abgeschoben werden dürfen. Der Mitarbeiter einer Securityfirma war am Donnerstag mit einem Kleinwagen in das Ende eines Demonstrationszugs der Gewerkschaft Verdi gefahren. Dabei wurden nach neuen Angaben 39 Teilnehmer der Demonstration verletzt. Ein zwei Jahre altes Mädchen und seine 37 Jahre alte Mutter starben am Sonnabend im Krankenhaus an ihren Verletzungen.
Auch in der RTL-Viererrunde der Kanzlerkandidaten am Sonntag abend waren Abschiebungen nach Afghanistan ein Thema. Der CDU-Kandidat Friedrich Merz forderte wie Söder, Verhandlungen mit den Taliban aufzunehmen. Die BRD gebe etwa 300 Millionen Euro an Entwicklungshilfe für Afghanistan aus, dann müsse es auch möglich sein, mit den Taliban über »Rückführungen« zu reden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der am Sonnabend die Abschiebung des Attentäters von München angekündigt hatte, wies darauf hin, dass es 2024 einen Abschiebeflug nach Kabul gegeben habe: »Und glauben Sie mal, da hatten wir auch Kontakte mit der afghanischen Regierung«.
Robert Habeck, Kanzlerkandidat der Grünen, hatte gegen verschärftes Abschieben nach Afghanistan nichts einzuwenden, wohl aber etwas gegen die von der Union geforderten Verhandlungen. »Das ist ein Terrorregime«, erklärte er in der Viererrunde. Es gebe kein Land, das mit den Taliban diplomatische Beziehungen unterhalte. Wenn man das tue, sei das »ein Adelsschlag für dieses Regime, das schlimme Dinge tut«.
Voraussichtlich am Mittwoch will sich der Innenausschuss des Bundestages bei einer Sondersitzung mit den Hintergründen und laufenden Ermittlungen des Anschlags von München befassen. Die letzte reguläre Plenarsitzung war zwar in der vergangenen Woche, das Parlament kann aber auf aktuelle Ereignisse reagieren. Erste Informationen zu dem Fall hatten die Obleute der Fraktionen laut dpa in einer Telefonkonferenz vom Innenministerium erhalten. Weiterhin stehe aber die Frage nach dem Motiv im Mittelpunkt, erklärte Martina Renner, Innenpolitikerin der Linke-Gruppe. Die bayerischen Ermittler gehen davon aus, dass die Tat einen islamistischen Hintergrund hat.
Am Sonntag versuchte die AfD mit einer Mahnwache in der Nähe des Tatorts mit etwa 70 Teilnehmern, das Geschehen für sich zu nutzen. Bei einer Gegendemonstration, an der rund 600 Menschen teilnahmen, kam es zu Übergriffen der Polizei auf Demonstranten. Gegendemonstranten gelang es, AfD-Politiker davon abzuhalten, am Tatort Blumen niederzulegen.
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