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Aus: Ausgabe vom 27.03.2025, Seite 6 / Ausland
Kurdistan

Ankara am Pranger

Völkertribunal verurteilt Türkei für Angriffskrieg im Norden Syriens
Von Tim Krüger
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Die türkische Regierung ist des Tatbestands des Angriffskriegs im Norden Syriens schuldig. Dies ist das Urteil des permanenten Völkertribunals (Englisch: Permanent People’s Tribunal, PPT), das am Mittwoch im EU-Parlament vorgestellt worden ist. Den Entscheid begründete die siebenköpfige internationale Jury unter der Leitung der erfahrenen Rechtsanwältin Frances Webber damit, dass der zwischen 2018 und 2024 von der Türkei in Nordsyrien geführte Militäreinsatz weder vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen autorisiert worden ist, noch es vorherige Angriffe auf türkisches Territorium von seiten der syrischen Streitkräfte oder von Militärverbänden der Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens gegeben hatte.

Das PPT steht in der Tradition der sogenannten Russell-Tribunale, die erstmals 1966 auf Initiative des britischen Philosophen und Literaturnobelpreisträgers Bertrand Russell und des sozialistischen Politikers Ken Coates abgehalten wurden. Es sollte damals Menschenrechtsverletzungen sowie Verstöße gegen das Völkerrecht seitens der US-Armee in Vietnam dokumentieren und untersuchen.

Eine symbolische Gerichtsverhandlung zu den türkischen Menschenrechtsverletzungen in Syrien hatte es bereits am 5. und 6. Februar auf Verlangen verschiedener Menschenrechtsorganisationen aus Europa sowie Nord- und Ostsyrien in Brüssel gegeben. Der belgische Anwalt Jan Fermon und seine Kollegin Şerife Ceren Uysal aus der Türkei hatten die Anklage gegen führende Vertreter der türkischen Regierung erhoben, darunter den Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, den Außenminister und ehemaligen Leiter des Geheimdienstes Hakan Fidan sowie Mitglieder des Generalstabes. Um die türkische Armee und mit ihr verbündete dschihadistische Milizen zu überführen, wurden Schilderungen von Augenzeugen, Betroffenen und Menschenrechtsaktivisten angehört.

Neben dem Vergehen eines Angriffskriegs hat sich die türkische Führung im Rahmen ihres Bodeneinsatzes sowie des anhaltenden Luftkriegs laut Urteil zahlreicher weiterer Kriegsverbrechen schuldig gemacht. So sagte die Jury unter Bezugnahme auf die Zeugenaussagen und von der Anklage präsentierte Belege, dass vor allem die Zwangsumsiedlungen der kurdischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten systematisch und planmäßig durchgeführt wurden und damit als Verbrechen gegen die Menschheit zu werten sind. Allein bei der Besetzung der kurdischen Enklave Afrin wurden laut Angaben der Gesellschaft für bedrohte Völker seit Januar 2018 mehr als 300.000 kurdische Einwohner durch die türkische Armee und ihre islamistischen Hilfstruppen vertrieben und durch arabische und turkmenische Siedler ersetzt.

Auch für die organisierte Plünderung der besetzten Gebiete, willkürliche Entführungen von Zivilisten durch die Milizionäre der Türkei, außerrechtliche Hinrichtungen, die mit internationalem Recht nicht vereinbare Verschleppung syrischer Staatsbürger in die Türkei sowie die systematische Anwendung von sexualisierter Gewalt gegen Frauen sei die Türkei zur Rechenschaft zu ziehen. Nicht nur sei erwiesen, dass die Milizen in die militärische Hierarchie der türkischen Streitkräfte eingebunden sind, auch trage die Türkei als Besatzungsmacht gemäß der Vierten Genfer Konvention die Verantwortung für die Sicherheit der Bevölkerung in den besetzten Gebieten, so das Gericht.

Die Jury resümierte, dass die belegten Taten auch nach türkischem Recht Straftatbestände darstellen würden. Da die Beschuldigten aber weiterhin rechtliche Immunität genießen, es in der Türkei an Schutz für Zeugen und Opfer mangele und eine intensive Verfolgung kritischer Anwälte sowie eine weitverbreitete »Kultur der Straffreiheit« für Kriegsverbrechen gebe, liege die Verantwortung für die Strafverfolgung der Verbrechen des NATO-Staates bei der internationalen Gemeinschaft.

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