»Statt Arbeit finden sie Terror und Tod«
Interview: Annuschka Eckhardt
Anfang März wurden auf einer Ranch bei Teuchitlán Krematorien entdeckt. Dazu mehr als 200 Paar Schuhe, Notizbücher, Fotos, Ausweispapiere, Zeitschriften und Patronenhülsen. Die Funde deuten darauf hin, dass das Drogenkartell von Jalisco dort eine Art Zwangsarbeitslager betrieben hat. Was wissen Sie darüber?
In Mexiko hat die Gewalt der Kartelle mehr als eine halbe Million Tote und mehr als 100.000 Verschwundene gefordert – erschreckende Zahlen, die von der Barbarei des Kapitalismus zeugen, unabhängig davon, ob er von Neoliberalen oder Sozialdemokraten verwaltet wird. Diese Gewalt weist mehrere Elemente auf, die über das Unvorstellbare hinausgehen, wie das Verschwindenlassen der 43 Studenten aus Ayotzinapa, die Ermordung von Dutzenden Migranten in San Fernando Tamaulipas, und jetzt der Fall von Teuchitlán, wo es offenbar um die Zwangsrekrutierung von Arbeitskräften für die Kartelle ging. Sie werben mit Arbeitsangeboten, auf die sich vor allem junge Menschen stürzen. Aber statt einer gutbezahlten Arbeit finden sie Terror und Tod. Zudem gibt es Beweise dafür, dass gewählte Funktionäre der Regierungspartei Morena in dieses Netzwerk von Enganchadores (spezifisch mexikanische Form des Anwerbens und Schmuggelns von Arbeitern, jW) eingebunden sind.
Der Bürgermeister von Teuchitlán und die örtliche Staatsanwaltschaft erklärten, sie hätten keine Beweise für Verbrechen oder Krematorien auf der Ranch gefunden. Aus den Unterlagen, die die Organisation »Mexicanos Contra la Corrupción y la Impunidad« einsehen konnte, geht jedoch hervor, dass die Nationalgarde das Verteidigungsministerium bereits 2019 über die Entdeckung von verbrannten Leichen und verstreuten Schuhen informiert hatte. Wie lässt sich das erklären?
Die einzige Erklärung ist die Komplizenschaft des Staates bei Verbrechen und Terrorismus gegen die Bevölkerung. Der Prozess der kapitalistischen Akkumulation und der Drogenhandel in Mexiko sind in den vergangenen fünfzig Jahren Hand in Hand gegangen. Die Armee, Staatsmänner verschiedener politischer Überzeugungen und die verschiedenen Kräfte in den Bundes- und Landesparlamenten – alle sind daran beteiligt.
Wenn von der Nationalgarde die Rede ist, geht es um die Armee und die katastrophale Militarisierungspolitik, die zwar von den Präsidenten Calderón und Peña vorgeschlagen, aber von Präsident Obrador umgesetzt wurde, während er die Armee von den Staatsverbrechen von 1968 (Massaker an Studenten in Tlatelolco, jW) dem »schmutzigen Krieg« (des Staates gegen Kommunisten und linke Guerillas in den 1960er bis 80er Jahren, jW) und Ayotzinapa freisprach.
Wie äußert sich diese Militarisierung?
Der erste Punkt ist die Straffreiheit des Staates für Verbrechen, die von der Armee begangen werden; der zweite ist die Schaffung der Nationalgarde, das heißt die Beteiligung des Militärs an Polizeiaufgaben; ein dritter Punkt ist die Einmischung in die Wirtschaft durch die Verwaltung großer öffentlicher Bauprojekte und aller Häfen und Flughäfen. Ein weiteres, weniger sichtbares Element ist ihr Eingreifen als politischer Machtfaktor. Der Militärhaushalt wird auf Kosten sozialer Bereiche wie Bildung und Gesundheit eklatant aufgestockt. Abgesehen von den schwerwiegenden Schäden für die Gesellschaft wird damit die Linie von Präsident Lázaro Cárdenas (1934–1940, jW), das Militär einzig auf die Landesverteidigung und die Katastrophenhilfe zu beschränken, umgestoßen. Paradoxerweise hatte sich Morena vor dem Wahlsieg verpflichtet, die Militarisierung zu stoppen. Aber jetzt wissen wir, dass sie Demagogen sind.
Rund 124.000 Menschen gelten in Mexiko offiziell als vermisst. Die meisten verschwanden in der Zeit nach 2006, als die Regierung ihren »Krieg gegen die Drogen« erklärte. Welche Folgen hat dieser Krieg für die Arbeiterklasse?
Es ist in erster Linie ein Krieg gegen die Arbeiter und insbesondere die Arbeiterjugend – die große Mehrheit der Toten und Verschwundenen. Während das Proletariat leidet, florieren die Unternehmen durch das Drogengeld, das problemlos durch die Banken und das Finanzsystem in den Bergbau, die Agrarindustrie, den Immobiliensektor und die Bauindustrie fließt.
Pavél Blanco Cabrera ist Generalsekretär der Kommunistischen Partei Mexikos (PCM)
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