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Aus: Ausgabe vom 27.03.2025, Seite 7 / Ausland
Nahostkonflikt

Entscheidung für den Widerstand

Israel: Zu einem Monat Haft verurteilte Kriegsdienstgegnerin geißelt die Gewaltgeschichte ihres Landes
Von Jakob Reimann
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Kriegsdienstgegner sind in Israel selten, aber um so entschlossener: Protest vor der Militärbasis Tel Hashomer (27.11.2024)

Die 18jährige Kommunistin Ella Keidar Greenberg aus Tel Aviv ist vergangene Woche zu 30 Tagen Haft verurteilt worden, weil sie sich weigerte, in die Armee einzutreten. Während junge Israelis mit wenigen Ausnahmen für mehrere Jahre zum Militärdienst verpflichtet werden, verweigert sie den Dienst an der Waffe, um gegen die Militarisierung der Gesellschaft, die anhaltende Besetzung Palästinas und den Krieg in Gaza zu protestieren. »Der Hauptgrund für diese Aktion ist, dass mein Land in Gaza einen Völkermord begeht«, zitiert die internationale Presseagentur Pressenza aus einem Pamphlet Greenbergs. »Angesichts einer Realität des Massenmords, der systematischen Gleichgültigkeit, des Krieges und der Missachtung von Rechten ist die einzig richtige Antwort die Verweigerung«, erklärte Greenberg wenige Tage vor ihrem Haftantritt gegenüber dem israelischen Journalisten Oren Ziv.

Am Mittwoch vergangener Woche hatte die 18jährige öffentlich ihre Weigerung verkündet, dem israelischen Militär beizutreten, meldete Pressenza. Mit diesem Schritt verbinde die trans Frau den Kampf für Queerrechte mit dem Widerstand gegen staatliche Gewalt und militärische Unterdrückung: »So, wie ich die mir zugewiesene Geschlechterrolle abgelehnt habe, lehne ich auch meine Militarisierung im Dienste von Gewalt und Herrschaft ab«, betonte sie. Greenberg befindet sich mittlerweile in Isolationshaft, erklärt eine Sprecherin der NGO »New Profile« am Mittwoch gegenüber junge Welt. Dies spiegele das »patriarchalische und transfeindliche Vorgehen der Armee« wider.

Am Tag ihrer Festnahme riefen antimilitaristische Gruppen zum Protest vor dem Rekrutierungslager Tel Hashomer auf, in dem Greenberg ihre Verweigerung offiziell machte. Auf einem von Ziv auf X veröffentlichten Video sind Dutzende Personen mit Antifaflaggen und Schildern mit antimilitaristischen Parolen zu sehen. Auch der Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Adel Amer, und der Knesset-Abgeordnete Ofer Cassif von der sozialistischen Chadash bekundeten dort ihre Solidarität. Greenberg sei eine »Heldin«, so Cassif, »sie ist eine Inspiration für uns alle«.

Auch wenn die Zahl der »Refuseniks«, wie Kriegsdienstverweigerer in Israel genannt werden, verhältnismäßig klein ist, so ist sie doch steigend. Greenberg gehört zu einer wachsenden Bewegung von jungen Israelis, die sich weigern, Teil der systematischen Gewalt gegen die Palästinenser und der illegalen Besatzung zu sein. Genaue Zahlen sind schwer zu ermitteln, da das Militär keine Statistiken über Kriegsdienstverweigerer veröffentlicht. Seit Beginn des Kriegs gegen Gaza am 7. Oktober 2023 erklärte etwa ein Dutzend israelischer Teenager seine Kriegsdienstverweigerung, so Angaben der Hilfsorganisation Mesarvot, die CNN wiedergibt. Ein weiterer prominenter »Refusenik« ist Itamar Greenberg, der vergangenes Jahr mehrfach im Gefängnis war und dabei insgesamt 197 Tage absitzen musste. In der Haftanstalt erhielt er Drohungen von Mitgefangenen und wurde daraufhin in Einzelhaft genommen – »zu seiner Sicherheit«, behauptete die Gefängnisleitung.

Kurz nach ihrem Coming-out als trans fand die damals 14jährige Ella Keidar Greenberg in der Bibliothek ihrer Großmutter das »Kommunistische Manifest«, schreibt sie in ihrem Pamphlet, und verbrachte »die nächsten zwei Jahre« damit, Bücher über politische Philosophie und marxistische Theorie zu lesen. Dadurch entwickelte sie »ein tieferes Verständnis für die blutige Geschichte und Gegenwart des Landes, in dem ich lebe«. Sie habe sich in der Folge in verschiedenen kommunistischen Organisationen und in antimilitaristischer Arbeit engagiert. »Wenn uns unsere Enkel in 40 Jahren fragen, was wir während des Völkermords in Gaza, während des Zusammenbruchs der alten Ordnung getan haben, ob wir aufgegeben oder uns gewehrt haben, was werdet ihr dann antworten?« schließt Keidar Greenberg ihr Manifest, und weiter: »Ich weiß, was ich antworten werde: dass ich mich für den Widerstand entschieden habe. Deshalb verweigere ich.«

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