Schwaches Blatt
Von Reinhard Lauterbach
Das nennt man mit einem schwachen Blatt hoch pokern. Russlands Position im westlichen Schwarzen Meer ist rein militärisch dahin, nachdem seine Flotte schon zu Beginn des Krieges durch ukrainische Drohnenangriffe dezimiert und an die Ostküste des Meeres verdrängt worden ist. Wie sehr, machen en passant Berichte in russischen Medien über U-Boot-Soldaten deutlich, die inzwischen an der Front zu Lande kämpfen. Dass sie an Bord ihrer Schiffe nichts mehr zu tun haben, wird dabei natürlich nicht dazugesagt. Wenn die maritime Waffenruhe tatsächlich in Kraft treten sollte, könnte Russland Teile seiner Schwarzmeerflotte auf die Krim zurückverlegen. Insofern ist der ukrainische Ärger über den von Donald Trump eingefädelten »Deal« verständlich: Er ist geeignet, das Ergebnis der einzigen Schlacht rückgängig zu machen, die die Ukraine tatsächlich gewonnen hat.
Russlands Verhandlungsstrategie gegenüber den USA lief aber eigentlich auf etwas anderes hinaus: durch die Vereinbarung einer Waffenruhe wieder Möglichkeiten zum Export eigener Agrarprodukte und Düngemittel über See zu bekommen. Vor allem der Düngemittelexport gilt unter Fachleuten als verwandelte Form des Gasexports, weil sich Russland das viele Gas, das bei der Produktion dieses Düngers verbraucht wird, dann eben als dessen Wertbestandteil bezahlen lässt, anstatt es direkt zu exportieren. Auch der Nahrungsmittelexport war zwar als solcher nie verboten, litt aber unter Nebensanktionen auf dem Gebiet der Schiffsversicherungen und der Anlegerechte für russische Schiffe. Außenminister Sergej Lawrow hat nach dem Abschluss der Schwarzmeervereinbarung gar nicht lange darum herumgeredet und gleich gesagt, worum es Russland gehe: einen »gerechten Anteil am Welthandel«, insbesondere mit Getreide. Natürlich gibt sich Lawrow auch besorgt um die Nahrungsmittelversorgung des globalen Südens, vor allem hofft er aber wohl, dass der »verdiente Gewinn« für Russland dabei herausspringt.
Ob die Schwarzmeervereinbarung tatsächlich so in Kraft tritt wie jetzt paraphiert – denn mehr ist es offenbar bisher nicht – und ob sie hält, ist weitgehend offen. Russland ist erkennbar bestrebt, am Rande dieses »Deals« einen Keil in die westliche Sanktionsfront zu treiben. Die Wiederzulassung russischer Banken zum Abrechnungssystem SWIFT, für die sich die USA einzusetzen versprochen haben, ist abhängig von der Zustimmung der EU, auf deren Territorium diese Finanzinstitution ihre Rechner stehen hat. Und die größten Schiffsversicherer sitzen in London. Hier müssten also EU und Großbritannien über ihren Schatten springen und der Lockerung ihrer Sanktionen zustimmen. Vorerst schaut es nicht danach aus.
Mit diesem Akzent auf Sanktionserleichterungen gibt Russland zu, dass ihm diese doch schwerer geschadet haben, als es früher zugegeben hat. Ein schwaches Blatt wird nicht besser, wenn man damit hoch pokert.
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vom 27.03.2025
Im Krimkrieg 1853-56 gab es das alles noch nicht, ja, da hatte die russische Flotte auch nichts zu lachen, und es gelang den französischen, britischen, italienischen und türkischen Truppen sogar, wovon der vereinigte Westen zusammen mit der Kiewer Führung jetzt nur träumen kann, die Landung auf der Krim und die Eroberung von Sewastopol. Ja, und auch das: Die Befreiung der christlichen Balkanvölker vom muslimisch-osmanischen Joch wurde durch die westliche Einmischung zugunsten der feudalen Türkei deutlich verzögert – »um den russischen Einfluss einzudämmen«.
Heute machen sich Trumps Leute mehr und mehr die Moskauer Sicht zu eigen, dass im Osten und Süden der Ukraine Russen leben, die von der Herrschaft der »Antirussen«, der nationalistischen Bandera-Anhänger aus der Westukraine befreit werden sollen. So ähnlich sieht das z. B. Witkoff. Das wiegt schwerer als die »Kastrierung« der russischen Kriegsflotte.
Halbwegs friedlicher Handel aber, zu Lande wie zur See, war schon immer nur in gegenseitigem Einvernehmen möglich – so auch im Schwarzen Meer. SWIFT wird sich den US-Pläne nicht verweigern können.