Pflicht zur Freiwilligkeit
Von Philip Tassev
Schon der Name weckt dystopische Assoziationen: Aus der bayerischen Landtagsfraktion der Partei Bündnis 90/Die Grünen kommt der Vorschlag, einen »Freiheitsdienst« einzuführen. Nach dem Willen von Fraktionschefin Katharina Schulze und ihrem innenpolitischen Sprecher Florian Siekmann sollen alle Frauen und Männer irgendwann zwischen 18 und 67 Jahren sechs Monate lang »dienen« – bei der Bundeswehr, im Bevölkerungsschutz, der Feuerwehr, dem Technischen Hilfswerk (THW) oder im Rahmen eines »Gesellschaftsdienstes«. Gegenüber dpa befand Schulze am Sonntag, es sei an der Zeit, »die Frage zu stellen: ›Was kannst du für dein Land tun?‹« und beschwor das Bild von der deutschen »Schicksalsgemeinschaft«: »Damit wir als Gesellschaft robuster werden, unsere Freiheit verteidigen und das Miteinander stärken, braucht es uns alle. Der Freiheitsdienst ist ein Gemeinschaftsprojekt für Deutschland von allen für alle. Durch den Freiheitsdienst verbinden wir Generationen und Milieus, stärken unsere Gesellschaft und verteidigen, was uns wichtig ist.«
Schulze und Siekmann schlagen vor, nach dem Ende der Schulpflicht eine allgemeine Musterung durchzuführen, bei der über die verschiedenen Möglichkeiten, der »Freiheit« zu dienen, informiert werden soll. Dieser sechsmonatige Dienst soll dann entweder in einem Zug oder auch etappenweise geleistet werden können. Dienen sollen »alle mit festem Aufenthalt in Deutschland, unabhängig von Staatsbürgerschaft oder Geschlecht«. Dabei soll von der Dienstpflicht befreit werden, wer bereits Wehr- oder Zivildienst geleistet hat. Siekmann zufolge sei der »Freiheitsdienst viel mehr als der alte Wehrdienst, er zielt auf eine Gesamtverteidigung mit gesellschaftlicher Widerstandskraft«.
Die Idee der bayerischen Grünen findet die sogenannte Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, erwartungsgemäß »sehr, sehr gut«, wie die SPD-Politikerin am Montag im Deutschlandfunk sagte. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier werbe schon seit Jahren für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr für alle, aber »nicht nur bei der Bundeswehr, sondern auch im sozialen Bereich, im kulturellen Bereich, im Umweltbereich«.
Den Personalmangel bei der Armee zu beheben, sei zwar auf »freiwilliger Basis« am besten, da die Jugend dem Dienst an der Waffe trotz regelmäßiger Bundeswehr-Imagekampagnen offenbar nach wie vor wenig abgewinnen kann und von jenen, die sich freiwillig verpflichten, rund ein Viertel dem Militär schnell wieder den Rücken kehrt. Dennoch plädiert Högl nach eigenem Bekunden »schon sehr lange dafür, auch in Richtung einer Pflicht zu denken«.
Das Thema Wehrpflicht wird auch bei den derzeit laufenden Gesprächen zur Regierungsbildung zwischen Union und SPD in Berlin verhandelt. CDU/CSU wünschen sich eine Wiedereinführung des 2011 ausgesetzten Wehrdienstes, die Sozialdemokraten hingegen favorisieren das aus dem Hause von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) kommende Modell einer »neuen Wehrpflicht«, bei dem alle jungen Menschen der Bundeswehr ihre Fähigkeiten und ihre Bereitschaft zum Militärdienst mitteilen sollen. Für Männer soll das verpflichtend, für Frauen aufgrund gesetzlicher Vorschriften bisher freiwillig sein. Högl sieht hier die Möglichkeit, in Pistorius’ Gesetzentwurf »einen leichten Zwang« einzubauen: »Ein bisschen Pflicht«, aber »trotzdem mit Freiwilligkeit«. Eine Dienstpflicht nur für Männer sei aber laut Högl »nicht mehr zeitgemäß«. Für die Einbeziehung von Frauen brauche es jedoch eine Grundgesetzänderung. Die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit sei im aktuellen Bundestag nicht in Sicht.
Juso-Chef Philipp Türmer kann der Wehrdienstdebatte wenig abgewinnen, wie er am Montag Politico erklärte. Wehr- oder Dienstpflichten seien »Scheinlösungen«. Die Bundeswehr brauche »keine 18jährigen, die geradeso ein Sturmgewehr halten können«, sondern »hochspezialisierte Kräfte«. Es funktioniere daher nicht, »Personallöcher mit einer Pflicht zu stopfen«. Die Lösung seien statt dessen »gute Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen«.
Wie »gut« allerdings die »Arbeitsbedingungen« in der russischen Steppe sein werden, wenn dort demnächst wieder einmal »Deutschlands Freiheit« verteidigt werden soll, bleibt abzuwarten.
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Dass Dienst, der Zwang zur Erfüllung von Pflichten, Ausdruck von Freiheit sein kann, ist schon schwer nachvollziehbar, noch schwerer die damit verknüpften Wunschvorstellungen.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass viele Handwerksmeister händeringend Nachwuchs für ihre Gewerke suchen. Handwerker kommunizieren intensiv mit Bürgern, lösen mit praktischer Arbeit deren Probleme und genießen deshalb eine hohe Ausstrahlung und hohes Ansehen. Zur Finanzierung des Staatsapparates werden dem Handwerk erhebliche Steuern und Abgaben abverlangt. Wenn diese benutzt werden, um mit großzügigen finanziellen Angeboten auch noch Berufsnachwuchs für den Dienst in der Bundeswehr abzuwerben, falls sich doch noch jemand für die Fortführung eines Handwerks begeistern lässt, dieser zum »Freiheitsdienst« verpflichtet wird, so auch für eine beachtliche Zeit für das Handwerk ausfällt, wird das kaum den Handwerksmeister beglücken und den Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken. Der bürokratische Aufwand und die Konkurrenz des »Freiheitsdienstes« für bestimmte Dienstleister bleibt unerwähnt.