Koloniale Spuren
Von Bernd Langer
In Bad Lauterberg im Harz sorgt eines der letzten Kolonialdenkmäler Deutschlands wieder für Aufsehen. Die mehr als zwei Meter hohe Bronzeplastik von Hermann von Wissmann stand am vergangenen Wochenende vom 28. bis 30. März im Fokus antikolonialer Aktionstage. Schon seit über 40 Jahren gibt es in Bad Lauterberg Interventionen mit dem Versuch, die umstrittene Figur von Wissmann angemessen einzuordnen. Ein durchschlagender Erfolg blieb bislang aus. Studierende der Hochschule Merseburg versuchten es nun mit einer Charmeoffensive: Mit spielerischen und künstlerischen Angeboten luden sie die Bad Lauterberger Bevölkerung zum Austausch ein. Ihr Motto: neue Perspektiven auf koloniale Spuren in der Stadt.
Als Reichskommissar bekam Wissmann 1888 den Auftrag, einen Aufstand an der ostafrikanischen Küste niederzuschlagen. Damit begann die Geschichte der Kolonie »Deutsch-Ostafrika«. Wissmann wurde 1895 zum Gouverneur ernannt; eine Aufgabe, die ihn offensichtlich überforderte. Mitte 1896 kehrte er, wie es hieß, krankheitsbedingt nach Deutschland zurück. Im Jahr 1905 kam er bei einem Jagdunfall ums Leben.
Bereits 1908 errichtete das Bad Lauterberger Bürgertum Wissmann ein Denkmal. Der seinerzeit Prominente hatte die Kneipp-Stadt oft besucht, da seine Mutter dort lebte. Grund genug für die Errichtung eines Denkmals im kleinen Kurpark, das zum Wahrzeichen der Stadt avancierte – wenngleich der Arbeiterschaft das Betreten des Bürgerparks bis zum November 1918 untersagt blieb.
Das ehemalige Wohnhaus der Mutter bekam den Titel »Wissmann-Haus«, auch eine wichtige Straße wurde nach dem ehemaligen Gouverneur benannt. Seit seiner Errichtung diente der bronzene Wissmann auch kolonialen Veteranenverbänden als Treffpunkt – eine Tradition, die nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgenommen wurde. So konnte sich in Bad Lauterberg, das abgelegen an der innerdeutschen Grenze lag, ein positiver kolonialer Geist länger konservieren als beispielsweise in Hamburg. Dort wurde das Wissmann-Denkmal 1968 von Studenten endgültig vom Sockel gerissen.
In Bad Lauterberg wurde erst ab 1979 dank des damaligen antifaschistischen Arbeitskreises Kritik am kolonialen Kult laut, die 1982 in einer Demonstration und 1985 in einem vorgetäuschten Bombenanschlag gipfelte.
Diese Zeiten sind lange vorbei, aber mit der »Black Lives Matter«-Bewegung, die 2020/21 auch die Harzregion erreichte, lebte die kritische Auseinandersetzung erneut auf. »Bunt statt Braun Osterode« und andere zivilgesellschaftliche Gruppen forderten die Umbenennung der Wissmannstraße. Immerhin wurde bei dieser der Zusatz »Afrikaforscher« von den Straßenschildern entfernt und das Wissmann-Zimmer, das ein NPD-Archivar aufgebaut hatte, mittlerweile geschlossen. Als Aushängeschild der Stadt dient Wissmann auch nicht mehr, man verschweigt diesen Aspekt lieber: So dient das Denkmal schon seit Jahren nicht mehr als Postkartenmotiv.
Mit ihrem Aktionswochenende wollten die Studierenden der Hochschule Merseburg das Schweigen überwinden und setzten vor allem auf die Bevölkerung. Beim Frageformat »Quizzmann« prüften die Teilnehmenden am Freitag ihr Wissen zur kolonialen Geschichte.
Am folgenden Tag stellten sich Studierende mit einer interaktiven Stadtkarte in die Fußgängerzone. Auf ihr waren Orte markiert, die mit der kolonialen Vergangenheit zu tun haben. Wer vorbeikam, war aufgefordert, konkrete Veränderungsvorschläge abzugeben.
Das Wissmann-Denkmal im Kurpark, wo am Nachmittag die Hauptaktion stattfand, war abgesperrt. Angeblich hatte das nichts mit dem Aktionstag zu tun. Gegenüber vom Denkmal wurde ein provisorischer Raum für die Audioinstallation »denk-mal-nach-dem-sturz« errichtet. Hier konnte man in Ruhe sitzen und diverse Stimmen zum Denkmal auf sich wirken lassen. Danach ging es mit der Videoprojektion »Wissmann im neuen Licht!« an gleicher Stelle am Abend weiter.
Um 19 Uhr startete die Videozusammenstellung zur kolonialen Vergangenheit. Mit Sitzmöglichkeiten und Leinwand war für leichte Freiluftkinoatmosphäre gesorgt. Später wurde das Wissmann-Denkmal selbst zur Projektionsfläche.
Am Ende zeigten sich die Beteiligten mit den Aktionstagen zufrieden. Auch wenn sich die Bevölkerung nur schwer erreichen ließ und die Stadtverwaltung einiges tat, um Hindernisse in den Weg zu legen. Aber wer es mit antikolonialem Engagement ernst meint, muss eben dort hingehen, wo der koloniale Muff noch repräsentiert wird.
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Leserbrief von Karl Wimmler aus Graz (1. April 2025 um 11:52 Uhr)Der Abgeordnete Eugen Richter beklagte im Jahr 1889 im deutschen Reichstag die Zustände in Ostafrika mit folgenden Worten: »Wir lasen neulich, dass Herr Wissmann schon 700 Araber und Aufständische, wie sie genannt werden, hätte erschießen lassen, wir hören, dass bald dieses, bald jenes Dorf in Flammen aufgeht. Seine Truppen ziehen sengend und brennend umher, und die Aufständischen tun dergleichen, und das Ganze nennt man in der Sprache der vorjährigen Thronrede ›Kultur und Gesittung nach Afrika tragen!‹« - »Kultur und Gesittung« werden heute »westliche Werte« genannt.
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