Empathie
Von Helmut Höge
Empathie gilt als Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen und ihre Gefühle zu verstehen. Das Gegenteil ist die Ekpathie und meint, knapp gesagt, dass einem fremdes Leid egal ist. Empathie, so wird gesagt, sei die Grundlage menschlichen Zusammenlebens. Aber nun kommt Elon Musk, das ekpathische Frontschwein von Donald Trump: »Die grundlegende Schwäche der westlichen Zivilisation ist Empathie«, befand er kürzlich. Anscheinend gilt das auch für die östliche Zivilisation, zumindest berichtet Alexander Kluge in seiner »Kriegsfibel 2023« (Suhrkamp), dass ein russischer Oligarch in unmittelbarer Nähe des riesigen neuen Weltraumflughafens am Amur einen »Zoo der Angriffslust« aufbaut. Der ist der Meinung, »dass die Artenvielfalt der Angriffslust auf dem Erdkreis bedroht ist durch Wellen der Moralisierung«. In Pankow hat der Besitzer eines Eisenwarengeschäfts sich wohl Ähnliches gedacht, als er an seine Tür den Gruß »Have a Knife Day« anbrachte.
Die Krankenkasse AOK stellt in ihrem Gesundheitsmagazin die Frage: »Die Fähigkeit zur Empathie – hilfreich oder auch mal hinderlich?« Klar, wenn man jemanden angreifen will, mit oder ohne Messer, ist ein zu großes Einfühlungsvermögen hinderlich, auf der anderen Seite »begegnen wir in unserem Alltag regelmäßig Situationen, in denen Empathie wichtig ist. Das können Konfliktsituationen in Partnerschaften oder am Arbeitsplatz sein«. Empathie meint also laut AOK »in vielen Fällen, dass jemand die Situation eines anderen oder einer anderen erkennt und Anteil an dessen Problemen nimmt. Empathie hat aber eben auch mit der Geschicklichkeit zu tun, eine Situation in den Griff zu bekommen.« Auch eine Situation, in der jemand mit einem Messer auf einen zustürmt?
Im vergangenen Jahr gab es laut Polizeistatistik 8.951 Messerangriffe. Das sind jedes Jahr fast 1.000 mehr. Der Berliner Kurier titelte am 6. März: »Statistik des Grauens: Zehn Messerattacken in Berlin – jeden Tag«. Ich kenne mehrere ältere Frauen im gediegenen Westberliner Bezirk Wilmersdorf, die sich deswegen im Dunkeln nicht mehr aus dem Haus trauen, und kürzlich fragte mich eine Frau vor dem Kreuzberger U-Bahnhof Mehringdamm, wo der nächste Geldautomat sei, woraufhin ich nach unten in die belebte Zwischenetage des Bahnhofs wies. Sie traute sich aber nicht da runter. Wegen der vielen ausländisch aussehenden Leute dort.
»The Times They Are a-Changin’« – so heißt ein Lied von Bob Dylan aus dem Jahr 1964, als wir noch nicht derart globalisiert waren und die linken Bewegungen sich gerade weltweit ausbreiteten. Nun ist es andersrum: Die Rechten verschaffen sich in immer mehr Ländern Bewegungsspielraum. Gleichzeitig mehren sich die Kriege, und es wird allseits aufgerüstet. Auch die quasi privaten Gewalttätigkeiten nehmen zu.
Dagegen wollen die Politiker nun öffentliche Plätze und den öffentlichen Nahverkehr zu »Waffenverbotszonen« erklären. »Was bringen messerfreie Zonen?« fragte sich die Deutsche Welle 2023. »Es wurde festgestellt, dass waffenfreie Zonen das Sicherheitsgefühl der Menschen generell nicht verbessern«, so Elena Rausch vom Kriminologischen Zentrum (KrimZ) in Wiesbaden. Inzwischen gibt es solche Zonen bereits in mehreren Städten. »Die erste waffenfreie Zone in Deutschland wurde 2018 in Leipzig eingeführt und soll nun auslaufen. Eine Studie der Universität Leipzig hat ergeben, dass die waffenfreie Zone kaum Auswirkungen auf die Gesamtkriminalität hatte (…). Die Mehrheit der befragten Anwohner wünschte sich eher Maßnahmen zur Eindämmung von Drogenhandel, gegen Vermüllung oder Verkehrsverstöße.«
Der kürzlich verstorbene Verhaltensforscher Frans de Waal veröffentlichte 2011 ein Buch mit dem Titel »Das Prinzip Empathie« (Hanser). Er ging dabei von Tieren aus, die anderen, auch über Artgrenzen hinweg, helfen. Sein Lieblingsbeispiel ist ein Schimpanse, der einen Vogel, der gegen eine Glaswand geflogen und besinnungslos auf dem Boden lag, aufhob, mit ihm auf einen hohen Baum kletterte und ihn dann in die Luft warf, woraufhin er wegflog.
Elon Musk hat noch kein Buch über sein Prinzip »Ekpathie« veröffentlicht, aber schon einiges dafür getan. So sollen von 10.000 Mitarbeitern 300 bei der Entwicklungshilfeorganisation USAID übrig bleiben und 65 Prozent aller Mitarbeiter in der Umweltbehörde entlassen werden. »Techmilliardär Musk setzt seinen radikalen Kündigungskurs in US-Behörden fort«, meldete die »Tagesschau« und zitierte Donald Trump: »Elon macht einen großartigen Job, aber ich würde gerne sehen, dass er aggressiver wird.«
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