From the River to the Sea
Von David Siegmund-Schultze
Israel betreibt die Annexion des Gazastreifens und die Vertreibung seiner Bevölkerung immer unverblümter. Verteidigungsminister Israel Katz sagte am Mittwoch, das Militär habe eine Offensive gestartet, um »große Gebiete einzunehmen, die zu den Sicherheitszonen des Staates Israel hinzugefügt werden«. Dies beinhalte auch die »umfassende Evakuierung« der Bevölkerung. Bereits am 20. März hatte er den Palästinensern in Gaza mit »absoluter Zerstörung« gedroht, sollten sie sich nicht der Hamas entledigen. Nur wenn sie das täten, hätten sie noch die Chance auf eine »Ausreise«.
Seit Beginn des Feldzugs stellten Regierungsvertreter klar, dass sich der Krieg gegen die gesamte palästinensische Bevölkerung richtet: Es gebe keine unschuldigen Zivilisten in Gaza, sagte im Oktober 2023 etwa Präsident Isaac Herzog: »Es ist eine ganze Nation, die verantwortlich ist.« Und Premier Benjamin Netanjahu hatte mehrfach klargestellt, dass Israel vom Jordan bis zum Mittelmeer reichen sollte – ohne palästinensische Gebiete.
Nach dem im Januar 2025 in Kraft getretenen Abkommen zur Waffenruhe gingen Bilder von Hunderttausenden in den vollständig zerstörten nördlichen Teil Gazas zurückkehrenden Palästinensern um die Welt. Der kurzzeitig geschasste Polizeiminister Itamar Ben-Gvir bezeichnete ihre Rückkehr auf X im Januar als »erniedrigend«. »So sieht die totale Kapitulation aus. Wir müssen in den Krieg zurückkehren – und zerstören!« Seitdem US-Präsident Donald Trump am 4. Februar neben einem zufrieden lächelnden Netanjahu seinen Annexionsplan verkündete, scheinen auch die letzten Hemmungen zur Realisierung der langgehegten Pläne Tel Avivs zur Einnahme Gazas ad acta gelegt worden zu sein. Und Ben-Gvirs Forderung vom Januar kann offen umgesetzt werden.
Da noch immer mutmaßlich 24 lebende Geiseln im Gazastreifen festgehalten werden, kritisierte das Forum der Geiseln und Angehörigen die von Katz verkündete Entscheidung, den Krieg wieder auszuweiten: »Wurde beschlossen, die Geiseln für ›territoriale Gewinne‹ zu opfern?« hieß es in einer Erklärung am Mittwoch. Die ehemalige Gefangene Romi Gonen schrieb in einer Stellungnahme: »Jede Explosion macht die Hoffnungen der Geiseln ein wenig mehr zunichte. Ich war da. Ich weiß es.« Allein am Mittwoch wurden 57 Menschen bei Angriffen getötet, darunter neun Kinder. Ein Bombenabwurf auf eine UN-Klinik in Dschabalija forderte mindestens 22 Opfer. Das Militär erklärte, das Gebäude sei von der Hamas als Kommandozentrale genutzt worden. Die palästinensische Organisation bezeichnete die Anschuldigung als »offensichtliche Erfindung«. Reuters-Videoaufnahmen zeigten Blut auf dem Boden, während Rettungskräfte Leichen auf Tragen abtransportierten.
Mit der seit Anfang März bestehenden kompletten Blockade sämtlicher Hilfs- und Lebensmittellieferungen sowie den anhaltenden Bombardierungen erhöht Israel den Druck auf die Palästinenser zu fliehen. Angesichts der drohenden Hungersnot sagte UN-Sprecher Stéphane Dujarric am Dienstag (Ortszeit) in New York, sie seien »am Ende unserer Vorräte angelangt«. Etliche von der UNO betriebene Bäckereien hätten schließen müssen. Der dafür verantwortliche Regierungschef wurde derweil am Mittwoch in Budapest empfangen.
Die offensichtlichen Kriegsverbrechen scheinen den ungarischen Premier Viktor Orbán ebenso wenig zu interessieren wie der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Netanjahu.
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Journalistengrab Gaza
Heute greift Israel ja, vom syrischen Golan abgesehen, noch weiter nach Osten, als angebliche »Schutzmacht« aller Drusen im Süden Syriens. Die das entschieden ablehnen. Die zionistische Bewegung hat immer so getan »als ob« – sie hat dem (unverbindlichen) Teilungsplan der UN-Vollversammlung von 1947 umgehend zugestimmt und sich dann 1948-67 mit Moshe Dayans »grüner Linie« vorgeblich abgefunden – aber seitdem das Fortbestehen palästinensisch-arabischer Gebiete, Dörfer und Städte nur noch als straff kontrollierte »Eingeborenenreservate« konzipiert. Unter einer allseitig abhängigen »Palestinian Authority«.
Und nun sollen sogar 2,2 Millionen Gaza-Palästinenser »nach nirgendwo« evakuiert, d. h. vertrieben werden! »Wegen der unmenschlichen Lebensbedingungen« – und dem dadurch erzeugten Hass eines ganzen Volkes! Ein schlimmes Lösungsverfahren!
Ja, es ist so: arabisch-palästinensische Frauen könnten Kinder gebären, die zu »Terroristen«, »Rächern« oder »Freiheitskämpfern« werden könnten – alles Konjunktiv! – doch deshalb getötete arabische Frauen und Kinder als »Kollateralschäden« einzustufen ist klar verbrecherisch! Und das tut anscheinend die Mehrheit der jüdischen Israelis! Und nimmt hin, dass jedes mit vielen Zivilisten vernichtete Gebäude angeblich eine Hamas-Kommandozentrale gewesen sein soll! (Womit natürlich auch Leben und Gesundheit der verbliebenen Geiseln gefährdet wird …)