Stimmungsmache in Südwest
Von Philip Tassev
Neue alte Töne aus dem Süden: Der Chef des Landeskommandos Baden-Württemberg, Michael Giss, meldet sich wieder zu Wort. Der Offizier, der den Rang eines Kapitäns zur See bekleidet, hatte erst kürzlich mit seiner Forderung nach einem Mentalitätswechsel in der angeblich friedensverwöhnten deutschen Gesellschaft für Aufmerksamkeit gesorgt. Nun hat er die materielle Seite der Kriegsertüchtigung in den Blick genommen: Deutschlands Straßen und Brücken.
Sollte es zum großangelegten Aufmarsch der NATO-Heere gen Osten kommen, werde dieser »zu 99 Prozent durch Deutschland gehen. Deutschland ist Drehscheibe für den alliierten Aufmarsch, für den ganzen Nachschub, der nach Osten laufen muss«, sagte er der dpa am Freitag. Das ist für jeden, der sich einmal mit NATO-Plänen beschäftigt oder auch nur einen Blick auf die Europakarte geworfen hat, keine Neuigkeit. Das Bundesland Baden-Württemberg spielt laut Giss im geheimen »Operationsplan Deutschland«, der festlegt, wie Behörden, Militär und Privatwirtschaft im Kriegsfall zusammenarbeiten sollen, eine »gewichtige Rolle«. Giss nennt auch konkrete Zahlen: »Um eine wirkungsvolle Abschreckung gegen die russische Armee darzustellen, rechnen wir als Hausnummer mit 800.000 Soldaten in relativ wenigen Wochen – plus das gesamte Gerät, das dazugehört.« Damit diese Hunderttausenden problemlos über deutsche Autobahnen und Bundesstraßen rollen können, müssten diese »in einem Zustand sein, dass sie so eine Mehrbelastung an Verkehr auch aushalten«.
Bei der Verkehrsministerkonferenz (VMK), die am 2. und 3. April in Nürnberg stattfand, erhoben die Minister konsequenterweise nicht nur Anspruch auf einen Großteil des »Sondervermögens Infrastruktur«, sondern auch auf Mittel aus dem »Sondervermögen Verteidigung«. Ein Beschluss der Konferenz zur »Bedeutung des Verkehrswesens für die Verteidigung« lautet: »Dem Verkehrs- und Transportwesen kommt dabei ein überragend hoher Stellenwert zu. Eine verlässliche Mittelausstattung für die zivile Verkehrsinfrastruktur ist unabdingbare Voraussetzung für eine belastbare Krisenresilienz sowie die Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit Deutschlands.« Das bestätigt die Kritiker – etwa aus der Friedensbewegung oder dem BSW –, die bereits im März in der Debatte um die »Sondervermögen« prophezeit hatten, dass Investitionen in Verkehrswesen und Infrastruktur zumindest zum Teil letztlich auch der Kriegsvorbereitung dienen werden.
Kapitän Giss ist als Kommandeur des Landeskommandos zuständig für die »zivil-militärische Zusammenarbeit« mit der baden-württembergischen Landesregierung. Deren Innenminister Thomas Strobl (CDU) hatte am Freitag Regierungspräsidenten, Landräte, Oberbürgermeister sowie die Präsidenten von Landkreis-, Städte- und Gemeindetag eingeladen, um zu besprechen, wie die südwestliche Heimatfront kriegstüchtig gemacht werden kann. »Wir müssen uns so konkret wie seit Jahrzehnten nicht mehr auf den Ernstfall vorbereiten. Wir müssen uns verteidigungsfähig machen«, so der Minister, der selbst weder Wehr- noch Zivildienst geleistet hat, am Freitag in Stuttgart. Es sei heute »schmerzlich« zu bereuen, »dass nach dem Ende des Kalten Krieges viele Strukturen der militärischen und der zivilen Verteidigung abgebaut haben«. Vielerorts gebe es keine Sirenen und einsatzfähigen Bunker mehr. Diese Strukturen ließen sich nur schwer wieder aufbauen.
Strobl mahnte auch eine neue Form der Zusammenarbeit mit der Armee an. In den vergangenen Jahren habe die Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe den zivilen Kräften geholfen, etwa während der »Coronakrise« oder bei Flutkatastrophen. »Jetzt rückt der umgekehrte Fall in den Fokus: die Unterstützung der Streitkräfte durch die zivile Seite.« Diese müsse darauf vorbereitet werden, »im Ernstfall die Menschen im Land bestmöglich zu schützen«. Heißt: Politiker beginnen den Krieg, Militärs führen den Krieg, und die Zivilisten dürfen dann die Toten aus den Trümmern bergen.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (6. April 2025 um 09:32 Uhr)Zitat: »Investitionen in Straßen und Schienen dienen der Kriegsvorbereitung, denn über sie sollen Hunderttausende NATO-Soldaten gen Osten rollen.« – So einfach ist es aber wirklich nicht. Diese Aussage trifft einen Nerv, doch sie bleibt oberflächlich. Die Realität ist tiefgründiger – und düsterer. Die wirtschaftliche Lage liegt im Koma. Oder, wie ich es lyrisch formuliere: Die Geschäfte gehen nicht, wo steckt das Geld? Endlose Staatsschulden, der Trump nur ein Maulheld. Ebbe im Portmonee bei allen Kunden – wie soll die Wirtschaft so gesunden? Die Antwort der Machteliten ist alt wie zynisch: Wenn Frieden keinen Profit mehr bringt, muss der Krieg ran. Die Geschichte zeigt uns, wie gut das funktioniert – für jene, die nie an der Front stehen. Erstens: Angst ist ein wirksames Herrschaftsinstrument. Wer Angst hat, hinterfragt nicht – er gehorcht. Freiheit wird im Namen der Sicherheit geopfert, und kaum jemand widerspricht. Zweitens: Krieg ist der größte Wachstumsmotor des Kapitalismus. Waffen liefern, zerstören, wieder aufbauen – ein Kreislauf der Profite, bezahlt mit Menschenleben. Die Aktienkurse steigen, wenn Bomben fallen. Drittens: Nach dem Krieg kommt die große Abrechnung – nicht moralisch, sondern finanziell. Wer überlebt, zahlt. Und das Kapital kommt wie ein Geier zurück, wenn das Elend frisches Aas riecht. Diese Mechanik ist so alt wie der moderne Staat selbst. Kriege beginnen nicht auf dem Schlachtfeld, sondern in den Sitzungszimmern der Wirtschaft, in den Schatten der Macht. Oder wie es ein Sprichwort auf den Punkt bringt: Geld regiert die Welt. Alles dreht sich ums Geld – außer um das Geld selbst. Denn das spricht nicht über sich, sondern über Macht.
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