»Die Industrie steht maximal unter Feuer«
Interview: David Maiwald
Tekin Nasikkol ist Gewerkschafter der IG Metall und Gesamtbetriebsratsvorsitzender von Thyssen-Krupp
Es stand eine außerordentliche Aufsichtsratssitzung von TKS an, die am Freitag über den Liefervertrag mit dem Stahlwerk HKM, der Hüttenwerke Krupp-Mannesmann, entscheiden sollte. Das geschieht in Zusammenhang mit dem geplanten Kapazitätsrückbau bei Thyssen-Krupp Steel von nun elf Millionen Tonnen auf 8,7 bis neun Millionen. Im Jahr 2032 wäre dann Schluss: Die Kündigung des Liefervertrags hätte schwere Folgen, würde vielleicht sogar das Aus für HKM bedeuten, wenn nicht doch noch ein Käufer gefunden wird. Das TKS-Werk im Duisburger Norden erhält aktuell etwa 60 Prozent von dessen Produktion. Die übrigen 40 Prozent verteilen sich auf die Salzgitter AG und Vallourec. Es wäre insgesamt ein Fehler und obendrein gefährlich, falls die Stahlkapazitäten in Deutschland weiter abgebaut würden.
Sie haben ein Moratorium für deren Abbau gefordert. Wie soll das aussehen?
Die Politik muss ein Moratorium umsetzen und den Vorständen verbieten, weitere Kapazitäten abzubauen. Das endet sonst blutig. Wir haben in der deutschen Stahlindustrie im vergangenen Jahr schon einen Produktionsrückgang von nahezu drei Millionen Tonnen erlebt. Das geht vor allem auf die wirtschaftliche Situation zurück – etwa die hohen Energiepreise und die Krise in der Automobilindustrie. Die Industrie steht also schon maximal unter Druck, und die bestehenden Handelsschutzinstrumente reichen nicht aus, um den Zustrom von Stahl aus Asien zu zügeln.
Werden die Kapazitäten, die jetzt alleine bei Thyssen-Krupp zur Diskussion stehen, umgesetzt, würden zwei Hochöfen in Hamborn und zwei weitere bei HKM abgeschaltet. Damit ginge die Grundlage für HKM und 3.000 Kolleginnen und Kollegen womöglich unwiederbringlich verloren. Das würde eine gefährliche Abhängigkeit bedeuten, außerdem eine Gefahr für die innere und äußere Sicherheit Deutschlands und Europas. Stichwort: strategische Resilienz. Die Politik hat das erkannt: Es gibt das Infrastrukturpaket von 500 Milliarden Euro und die Aussetzung der Schuldenregel für die Verteidigung. Aber es kommt spät. Diese Maßnahmen brauchen Zeit, die wir nicht haben.
Das spielt auf die Rüstungsproduktion an. Es besteht aber seit Jahren ein Sanierungsstau in der Infrastruktur. Marode Brücken, Autobahnen, Schienennetz. Der Wohnungsbau liegt am Boden. Diese Bereiche brauchen Stahl. Warum haben Sie sich nicht in ähnlicher Weise darauf bezogen?
Ich will das nicht miteinander abwägen nach dem Motto: Das brauchen wir mehr, das weniger. Es gibt in Deutschland einen jährlichen Durchschnittsverbrauch von 420 Kilogramm Stahl – pro Kopf. Die Stahlbranche steckt als Grundstoffindustrie in allen Wirtschaftszweigen, ist aber nicht resilient. Die Krisen der vergangenen Jahre haben uns gelehrt, dass wir uns niemals auf vermeintlich sichere Lieferketten verlassen dürfen. Da reden wir nicht über Panzer oder Kriegsschiffe. Wir dürfen unsere eigene Rohstahlproduktion als lokale Wertschöpfungskette nicht gefährden. Deutschland muss ein attraktiver Industriestandort bleiben.
Bedeutet das, die »Kriegstüchtigkeit« bildet den Rettungsanker für die Stahlindustrie in der BRD und der EU? Ist das denn eine Perspektive für die Beschäftigten in der Branche?
Selbstverständlich wird die Rüstungsindustrie bei den aktuellen Plänen einen Impuls geben. Sie haben zudem richtig erkannt: Unsere Infrastruktur hat extremen Nachholbedarf. Wir müssen eine attraktive Industrie bleiben. Wir leisten Pionierarbeit und könnten künftig mit grüner Stahlproduktion dafür sorgen, dass auch Bereiche wie die Autoindustrie oder der Maschinenbau ihre Klimaziele erreichen. Da hat die Stahlindustrie indirekt eine deutliche Wirkung. Noch einmal: Die Industrie steht maximal unter Feuer. Wenn wir jetzt Kapazitäten abbauen, richten wir irreversiblen Schaden an.
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