Herumtrampeln
Von Arnold Schölzel
Ja, es ist Zufall, dass die »Handreichung« des Auswärtigen Amts, bei Gedenkfeiern zu den letzten Schlachten des Zweiten Weltkrieges keine Russen und Belarussen einzuladen, vor allem das Land Brandenburg trifft. Zufall ist auch, dass gleichzeitig die Gedenkstätte Buchenwald einen Kritiker israelischer Regierungspolitik auf Drängen des vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Völkermordverdachts gesuchten Benjamin Netanjahu auslädt.
Die Außenministerin und ihre Bündnis-90/Die-Grünen-Truppe im Amt haben schon öfter nachgewiesen, dass sie in Geographie und Geschichte Analphabeten sind – etwa auf dem Niveau der promovierten Ex-Goldman-Sachs-Bankerin und AfD-Vorsitzenden Alice Weidel, die Elon Musk steckte, dass Hitler Kommunist war. Auch wenn Baerbock noch in Brandenburg wohnt, darf bezweifelt werden, dass sie das Land der vielen Gedenkstätten für die Rote Armee kennt. Zu hören war von ihr – und zwar besonders medienwirksam im Wahlkampf 2021 – zum Zweiten Weltkrieg bisher nur etwas über ihren Großvater, der in der Wehrmacht gegen die sowjetische Armee kämpfte. Laut den 2024 bekannt gewordenen Akten der Wehrmacht über den 2016 Verstorbenen war er »ein bedingungsloser Nationalsozialist«. Die Dokumente aber waren Baerbock nach Auskunft ihres Amts »nicht bekannt«. Die Ministerin hat sich die Geschichtspolitik bestellt, die zu ihr passt.
Nein, es ist allein deswegen kein Zufall, dass ihre »Handreichung« fast ausschließlich Ostdeutschland trifft. So wie es auch kein Zufall ist, dass der Philosoph Omri Boehm am Sonntag nicht an der Gedenkfeier »zum 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald« – so die Einladung – teilnimmt. Von Selbstbefreiung darf da keine Rede sein. Die Empörung des Gedenkstättenleiters Jens-Christian Wagner über den Druck der israelischen Botschaft ist aber vor allem Heuchelei, der angewandte doppelte Standard deutscher Geschichts- und Außenpolitik, wenn zutrifft, was die Berliner Zeitung am Sonnabend berichtete: Wagner persönlich hat entschieden, belarussische Vertreter von dieser Gedenkfeier auszuladen. Belarus war das Land, das im Zweiten Weltkrieg gemessen an der Einwohnerzahl die meisten Menschen verloren hat – fast 2,5 Millionen, fast ein Drittel seiner Bevölkerung. Das erfährt im Durchschnittsunterricht hier kein Schüler, geschweige denn, dass es für Baerbock, Scholz und Co. irgendeine Rolle spielt.
Oder doch: Wo sie das vergessen machen können, können sie auch einen Krieg gegen Russland führen und alle Verhandlungen torpedieren. Die geschichtspolitische Infamie dazu lautet: Befreiung gab es nur im Westen. Nun haben die Dilettanten auch diesen Krieg militärisch verloren, wollen ihn aber mit einer Finanzkanonade doch noch gewinnen. Und Russland hat nicht gewonnen. Das Herumtrampeln auf den Befreiern wird vorerst politische Leitlinie.
Siehe auch
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (7. April 2025 um 15:25 Uhr)Was diese widerwärtige Infamie betrifft: Unsere Tochter hat am 27. Januar Geburtstag. Wir denken immer an Leningrad und an die Befreiung von KZ und Vernichtungslager Auschwitz ein Jahr danach. – Abba was ich nicht, einfach nicht fassen kann: Die Befreier sind ausgeladen! Eine absolut krankhafte Vorstellung/Haltung dieser verwirrten selbsterklärten Ungeerdeten Marke U. V. D. Leyen und unsortiert krasse Kaja Kallas: »Mein Feind ist der Russe – immer auch im eigenen Land!« – Überall weltweit reicht nicht. Offensichtlich. Da habe ich mir überlegt, dass es an der Zeit ist, im Komplex der russlandfeindlichen sogenannten baltischen Staaten mit jeder Menge von (auch meinem vielen) Geld pro gesamteuropäisch zu handeln, also Frieden anzuregen. Wie das gehen könnte? Mit sogenannten Gesprächen. Doch wer fällt uns da in der EU noch ein? – Ich bin für Jutta Dittfurth.
- Antworten
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (7. April 2025 um 12:38 Uhr)Geschätzter Herr Schölzel! Ich wollte Ihnen schon zum Sonnabend schreiben, dass Sie den Idealgrund/-anlass abgeben/liefern werden, um die jW – auf welche Weise/welchem Wege ist schnuppe – wegzuschaffen. Denn: Eine Tageszeitung von diesem Verbreitungsgrad kann ja nur mit belegbaren Aussagen auftreten, wenn sie vom Verfassungsschutz und vielen anderen Institutionen tagtäglich – schon rein beruflich! – in Augenschein genommen wird. Woraus sich ergibt: Keine Tageszeitung hierzulande ist der Wahrheit mehr verpflichtet. Denn sie würde ja Zeile für Zeile schallend verklagt werden. Daraus folgt: Schulischer Medienunterricht kann nur präzise und wahrheitsgetreu sein, dank jW? Daran ist noch zu arbeiten. – Ihre Mitteilung zur Jauch-Aussage (Wie übel das klingt!) über die sozialistische Notdurftarchitektur hatte zwar Jauchische Ursachen. Wie könnte erwartet werden, dass ein schwedisches Architekturbüro das damals weltweit größte Freizeitzentrum dieser Art für die Hauptstadt der DDR entworfen hatte?! - AAH! Herr Jauch zusammenfasste die gesamte Architektur außerhalb der weltbeherrschenden westlichen Wertegemeinschaft? Mir sind vierzig Prozent Sehkraft verblieben. Da sage ich aufrichtig: Gute Besserung, Herr Jauch.
- Antworten
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (6. April 2025 um 21:06 Uhr)Ich bin heute auf dem Ettersberg gewesen. Habe viele gute, inhaltlich sehr fundierte Gespräche geführt – mit Menschen aus dem ganzen Bundesgebiet. Froh stimmte mich die Anwesenheit vieler junger Menschen, aus Deutschland und aus dem Ausland. Angewidert hat mich eines – einer derjenigen, die die Faschisten huldigen, die Stepan Bandera und seine Horden als Patrioten sehen, lief mir über den Weg. Es war der Botschafter der Ukraine, Oleksej Makejew. Daraufhin habe ich für mich entschieden – ich stelle mich zur Gedenkveranstaltung nicht auf einen Platz mit diesem Faschistenverehrer. Man kann mich feige nennen. Nein, ich würde damit das Gedenken an 51.000 getötete Insassen des Lagers beschmutzen. Und das möchte ich den Getöteten nicht antun. Dafür habe ich für mich und meine Familie am Mahnmal am Glockenturm den Schwur von Buchenwald erneut verlesen, und zwar sehr laut. Ich habe es als Video …
- Antworten
Ähnliche:
- Karina Hessland/REUTERS07.04.2025
Mahnung zur Wachsamkeit
- Dieter Bauer/IMAGO26.03.2025
Das wirkliche Ende der Geschichte
- Alexander Nemenov/Pool via REUTERS06.05.2022
Streit geht weiter