Das wirkliche Ende der Geschichte
Von Arnold Schölzel
Rund 500 Besucher begrüßte der Präsident des Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden (OKV), Matthias Werner, am Montag im ausverkauften Bürgerhaus Neuenhagen am östlichen Stadtrand Berlins. Das OKV hatte eine Konferenz unter dem Titel »Frieden mit Russland« organisiert und mit Thema und Referenten offenbar einen politischen Nerv getroffen. Durch die Veranstaltung führte Rainer Rupp, der als Kundschafter in der NATO für den Warschauer Vertrag tätig gewesen war; es sprachen Generalleutnant a. D. Manfred Grätz, ehemals stellvertretender Verteidigungsminister der DDR, der US-Physiker und – nach eigenen Worten – »Atomkriegsplaner« Theodore A. Postol sowie der deutsche Publizist Wolfgang Bittner.
Zugeschaltet war der Oberst a. D. der US-Armee und frühere Stabschef des Generals und US-Außenministers (2001–2005) Colin Powell, Lawrence »Larry« Wilkerson. Ein Grußwort Willy Wimmers (CDU), einst Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, wurde verlesen. Er hatte sich Ende der 1980er Jahre während der NATO-Übung »Wintex« geweigert, die Zustimmung für den Übungsabwurf von Atombomben auf Dresden und Potsdam zu erteilen. Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) entschied damals, die westdeutsche Teilnahme an der Übung abzubrechen.
Zu Beginn hatte Grätz darauf hingewiesen, dass es im Kalten Krieg gelungen war, den Frieden zu erhalten. Heute sei die Schwelle zum bewaffneten Konflikt niedrig, treibe eine »beispiellose Russophobie« täglich neue Blüten, obwohl dauerhafter Frieden in Europa »nur mit Russland, nicht ohne und schon gar nicht gegen Russland« möglich sei.
Die Folgen eines Atomkrieges stellten die beiden US-Experten in den Mittelpunkt ihrer Referate. Postol, emeritierter Professor des Massachusetts Institute of Technology, warnte vor der geplanten Stationierung atomar bestückbarer US-Raketen ab 2026 in der BRD. Das werde wegen der kurzen Vorwarnzeiten von etwa vier Minuten für die russische Führung mit einiger Sicherheit einen dritten Weltkrieg auslösen. Ein Krieg ändere aber mit einem einzigen Einsatz von Atomwaffen selbst bei »kleinster« Sprengkraft fundamental seinen Charakter und sei nicht mehr begrenzbar. Postol erläuterte die »technischen Implikationen« von Atomwaffen und demonstrierte dies an den physikalischen Auswirkungen explodierender atomarer Sprengsätze unterschiedlicher Dimension.
Seine mit zum Teil drastischen Bildern aus dem Hamburger Feuersturm von 1943 illustrierte Schilderung mündete in die Darstellung jener Übung mit dem Namen »Able Archer«, an der Rupp 1983 im NATO-Hauptquartier teilgenommen hatte. Damals sei die sowjetische Führung fest überzeugt gewesen, dass ein atomarer NATO-Angriff unmittelbar bevorstehe. Sie habe in der DDR Jagdbomber bereitgehalten, die das US-Atomwaffenpotential in der BRD und Westeuropa ausschalten sollten. »Able Archer« habe zugleich ergeben, dass am Ende des »begrenzten« Atomkrieges »nichts mehr übrig (war), um dafür zu kämpfen«. Das sei damals nach einem Jahr ins Bewusstsein der US-Regierung gedrungen, und danach hätten die Gespräche mit Moskau über atomare Abrüstung begonnen. Postol zeigte sich überzeugt, dass bei einem möglichen Treffen zwischen Donald Trump und Wladimir Putin über ähnliches gesprochen werde. Rupp wies darauf hin, dass von den bisher sechs zwischen Russland und den USA vereinbarten Arbeitsgruppen nur eine sich mit der Ukraine befasse, obenan aber strategische Sicherheit stehe.
Wilkerson und Bittner betonten die geopolitischen Aspekte. Wilkerson sagte, es gehe nicht um eine »liberale Demokratie« in den USA, sondern um ein Imperium, das »schwächer und schwächer« werde. Jahrtausendelang sei China das Zentrum der Welt gewesen, dann der Westen, nun verlagere es sich zurück. Alles in der US-Politik sei dem Ziel untergeordnet, diese Drift zu verlangsamen oder zu verhindern – der Einsatz von Atomwaffen eingeschlossen. Das werde aber nicht das nach dem Ende der Sowjetunion verkündete Ende der Geschichte, sondern das wirkliche Ende aller Geschichte. Die Versammlung hielt mit einer per Akklamation angenommenen Erklärung dagegen. In ihr wurde vor allem die Anerkennung legitimer Sicherheitsinteressen Russlands und der Verzicht auf die Stationierung der US-Raketen in Deutschland gefordert.
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Die Großväter haben die Erfahrung damit gemacht, haben erkannt, um wessen Vaterland es immer ging. Das ist Generation Z aus dem Kopf gespült. Jetzt ist die Frage nahe, wenn wir lesen dürfen, wann nun endlich zurückgeschossen wurde. Die Mehrheit der Bevölkerung scheint kaum zu beunruhigen, was an direkter Kriegsvorbereitung und – Geschrei vor sich geht. Dass der Russe auf der Lauer liegt, jeden Staat und EU angreifen will, vielleicht schon im Anmarsch ist, der Kriegsbeginn schon ausgemachte Sache der Politik ist, das nimmt die Mehrheit noch ziemlich gelassen. Warum interessiert oder besorgt das Kriegsgeschrei, Warnungen auf der Insel der Seligen im Wohlstandsdeutschland nur so relativ wenige? Woher nehmen die vielen ihre Gewissheit und Überzeugung, was ist ihre Gewissheit? Glauben sie mehrheitlich nicht den Warnungen vor dem Angriff der Russen? Glauben sie, NATO, EU und Deutschland würden den Russen in jedem Fall aufhalten und besiegen, wovon manche träumen? Von Ersten und Zweiten Weltkrieg kann jeder wissen, der Glaube, Zweifel und Gleichgültigkeit haben die Katastrophen nicht verhindert? Warum nicht? Geschichte hat schließlich eine deutliche Sprache gesprochen, z. B. die Nürnberger Prozesse. Wer weiß davon noch Generation Z kaum und will nichts wissen davon, ist im Kopf leergepresst, wie Orwells schon beschrieb. Kriegsvorbereiter sprachen immer vom Frieden. Feindbilder brauchte es ebenso. Wer bis heute Spielregel – Kapital–Krise–Krieg nicht kennt, nie darüber nachgedacht hat, wie Kriege entstehen, wo ihre Wurzeln sind, lebt auch heute zufrieden in seiner Einfalt.
Warum kennt kaum noch jemand das Wort Jean Jaurès von vor dem Ersten Weltkrieg? »Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen.« Vom Russen oder Putin stand nie etwas in den Kriegsgefahren derer, die wussten wie Kriege gemacht werden, wozu und für wen und was. Bewiesen ist der Satz bis heute viele Tausende Male. Dümmer kaum anzutreffende Logik, viele glaubten wohl, der Russe wolle keinen Krieg, was zutrifft. Der Westen behaupte, nur der Russe werde Krieg wollen und angreifen, also sei kein Grund zur Sorge. Die Einfaltspinsel wissen nichts davon, was den Westen wieder gen Osten treibt, wer Frieden vorgibt und das mit Krieg erreichen will. Dumm geboren, nichts dazugelernt? Eher dumm gemacht, wozu es auch ein hohes Maß an Dummheit und Scheinwissen. Wir sehen aber ebenso, wie Vernunft, Verstand wächst, wie Widerstand gegen jene wächst, die den Krieg wollen. Das macht Hoffnung.