Rätselraten über Drohne
Von Jörg Tiedjen
Zwischen Algerien und den Staaten der Sahelallianz (AES) ist das Tischtuch zerschnitten. Grund ist der Verlust einer malischen Drohne Anfang vergangener Woche bei der Ortschaft Tinzawatèn nahe der algerischen Grenze. Tagelang hatte es keine Neuigkeiten zu dem Absturz gegeben. Am Sonntag bestätigten die Staatschefs der drei AES-Mitgliedsländer Mali, Niger und Burkina Faso dann, dass das kostspielige Fluggerät vom Typ »Akıncı« von der Armee des großen Nachbarn Algerien abgeschossen worden sei, wie der Kurznachrichtendienst AES Info meldete. Die Konsequenz: »Da die AES diesen Akt als Aggression gegen das gesamte konföderierte Gebiet ansieht, hat sie beschlossen, ihre in Algier stationierten Botschafter zurückzurufen.«
Am Montag verschärfte sich die Auseinandersetzung. Algier, das den Abschuss nicht bestreitet, aber angibt, er sei über eigenem Territorium erfolgt, schloss seinen Luftraum für Flüge aus Mali. Eine eher rhetorische Maßnahme, da nur wenige Linienmaschinen die Grenze regelmäßig überqueren, die aber von Bamako sogleich erwidert wurde. Am Abend veröffentlichte AES Info schließlich einen Beitrag, in dem behauptet wird, dass Algerien die Drohne zerstört habe, als sie gerade einen Aufmarsch der Salafistentruppe »Dschamaat Nusrat Al-Islam Wal Muslimin« (JNIM) ausgespäht habe. Bei ihm soll auch der Tuareg- und Dschihadistenführer Iyad Ag Ghali zugegen gewesen sein, der von Algerien seit langem gedeckt werde, obwohl er vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschheit per Haftbefehl gesucht wird. AES Info fragt: »Wollte Algerien Ag Ghali decken?«
Die Nennung Ag Ghalis verbindet AES Info mit einem Hinweis auf den britischen Tuareg-Forscher Jeremy Keenan. Dieser hat in mehreren Veröffentlichungen die Theorie ausgearbeitet, dass die USA nach dem 11. September 2001 mit Hilfe Algeriens Dschihadismus in der Sahara- und Sahelregion als Vorwand für ihren »globalen Antiterrorkrieg« bewusst gefördert hätten. Als dann Tuareg-Separatisten 2012 den Norden Malis abspalten wollten, habe sich Algerien des zum Salafismus bekehrten Tuareg-Führers Ag Ghali bedient, um den Aufständischen in den Rücken zu fallen. Schließlich gebe es auch in Algerien Tuareg, die einen eigenen Staat fordern könnten – das Aufkommen einer solchen Bewegung habe Algier verhindern wollen. Ag Ghalis damals gegründete Miliz »Ansar Dine« habe keine Sezession verfolgt, sondern wollte ganz Mali dem Fundamentalismus unterwerfen.
Algerien als Terrorpate – diese Sicht gefällt nicht zuletzt dem regionalen Konkurrenten Marokko, der große Teile der alten spanischen Kolonie Westsahara völkerrechtswidrig besetzt hält. Seit langem behauptet Rabat, dass die Westsahara-Befreiungsfront Polisario, mit der es sich seit 2020 wieder im Kriegszustand befindet, ein Geschöpf Algeriens sei, um Marokko zu schaden, und mit dem Iran und der libanesischen Hisbollah in Verbindung stehe. Nicht zuletzt versucht Rabat aber, die AES-Staaten für seinen Kampf gegen die Polisario-Front zu instrumentalisieren – zum Beispiel mit dem allein schon aus finanziellen Gründen kaum realisierbaren Vorschlag, den drei Binnenländern in der marokkanisch besetzten Westsahara einen Seehafen einzurichten. Was auch immer hinter den jüngsten Vorwürfen an Algerien steckt: Es ist bemerkenswert, dass sich die AES-Staaten zwar von ihrer früheren Kolonialmacht Frankreich loslösen wollen, sich aber zugleich an Marokko anlehnen, Frankreichs erstem Statthalter auf dem Kontinent. Geht es auf dem Umweg über Rabat wieder zurück in das alte neokoloniale Lager?
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Gion H. aus Gümligen (9. April 2025 um 00:31 Uhr)»Sich aber zugleich an Marokko anlehnen, Frankreichs erstem Statthalter auf dem Kontinent. Geht es auf dem Umweg über Rabat wieder zurück in das alte neokoloniale Lager?« Das wäre in der Tat fatal. Jedoch, wo sind die Fakten, die eine solche Anlehnung oder gar »Rückkehr ins neokoloniale Lager« dokumentieren würden? Ich habe gute Kontakte nach Burkina Faso. Ich höre von dorther nichts dergleichen.
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