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Aus: Ausgabe vom 09.04.2025, Seite 2 / Ausland
Revolution im Sudan 2019

»Schon als ich ankam, wurden Menschen getötet«

Dokumentarfilm über die sudanesische Revolution 2019 und den anschließenden Krieg. Ein Gespräch mit Hind Meddeb
Interview: Gitta Düperthal
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Der Film »Sudan, Remember Us« zeigt den Kampf des sudanesischen Volks während der Revolution 2019

Ihr Dokumentarfilm »Sudan, Remember Us« zeigt den Kampf junger Frauen und Männer in Khartum für eine demokratische Regierung. Man sieht, wie Demonstranten auf der Straße tanzen und am 11. April 2019 den Sturz des Expräsidenten Omar Al-Baschir feiern. Wie kamen Sie auf die Idee, den Film zu drehen?

Beim Filmen für meinen vorherigen Dokumentarfilm »Paris Stalingrad« über Menschen auf der Flucht, hatte ich politische Aktivistinnen und Aktivisten aus dem Sudan kennengelernt. Sie hatten teilweise im Gefängnis gesessen und das Land verlassen müssen, weil sie versuchten, den Regimewechsel gegen den sudanesischen Diktator herbeizuführen. Als Asylsuchende in Frankreich waren sie auch dort von Polizeigewalt und Repression betroffen. 2019 wollten viele zurück in den Sudan. Weil niemand wusste, wie lange die Zwischenphase der Revolution andauern würde, war es für sie zu gefährlich. Daher baten sie mich, dorthin zu reisen. Ich habe den Film aus Freundschaft gemacht. Ich schnappte mir spontan meine Kamera. Los ging es. Ich habe die doppelte Staatsangehörigkeit. Wegen möglicher Kontrollen islamisch ausgerichteter Militärs war es sicherer, mit meinem tunesischen statt dem französischen Pass in den Sudan zu reisen.

Wie lief die Finanzierung des Films?

Weil ich mich schnell auf den Weg machen musste, hatte ich keinen Gedanken daran verschwendet. Darum kümmerte ich mich später. Ich hatte Gelegenheit, die zwei letzten Wochen der Freiheit in der besetzten Stadt Khartum zu filmen. Seit April 2019 waren Menschen aus allen Regionen des Sudan dorthin gereist. Gewerkschaften, Ärztinnen und Ärzte, Menschenrechtsanwälte, Feministinnen und organisierte Nachbarschaftskollektive hatten ihre Zelte aufgebaut. Es gab Straßenbarrikaden, Träume und Visionen. Sie wollten einen Staat mit freier Regierung und aktiver Beteiligung der Öffentlichkeit und hatten es satt, von Militärs und religiösen Fanatikern regiert zu werden. Ich hatte keine Rückfahrt gebucht, wollte so lange bleiben, wie meine Arbeit brauchte. Schon als ich ankam, wurden Menschen getötet. Die sogenannten Rapid Support Forces, RSF, eine paramilitärische Gruppe von Mohammed Hamdan Daglo, genannt Hemeti, begingen am dritten Juni ein blutiges Massaker. Das Datum war bewusst gewählt: Zum Ende des Ramadan würden Menschen aus reichen Familien nach Hause fahren, nicht auf der Straße sein.

Wie kamen Sie an das Material der grausamen Bilder des Massakers?

Die Milizen stellten Videos und Selfies ihrer Gewalttaten selber ins Netz, um sich damit zu brüsten. Sie standen teilweise unter Drogen, waren stolz auf diese Bilder. Widerstandskollektive aus den Nachbarschaften, die sich während der Besetzung gebildet hatten, recherchierten all das, um Beweise zu sichern, damit die Täter vor dem Internationalen Strafgerichtshof verurteilt werden können.

Reguläre Militärs, die wie die RSF Massaker in Khartum verübten, verkündeten Ende März die Rückeroberung der Hauptstadt. Was halten Sie von diesen neuen Entwicklungen?

Hemeti und der Kommandeur der regulären Streitkräfte Abdel Fattah Al-Burhan rivalisieren: Wer kon-trolliert den Sicherheitsapparat und damit die Wirtschaft im Sudan? Um ihre korrupten Geschäfte versteckt zu betreiben, ist es für beide die beste Lösung, Krieg zu führen. Der Reichtum an Gold und anderen Bodenschätzen führt zur Unterdrückung der Zivilgesellschaft – nicht etwa die Armut. Es ist also die Wahl zwischen Pest und Cholera, wenn jetzt das reguläre Militär einmarschiert.

Haben Sie noch Kontakt zu den Protagonisten des Films?

Einige Aktive, die über viele Länder verstreut im Exil leben, begleiten mich, wenn ich den Film auf Festivals zeige. Die Menschen im Sudan wissen, dass sie für ihre Freiheit kämpfen müssen. »Sie können uns zwar töten, nicht aber die Idee der Freiheit und Selbstbestimmung«, sagt ein Aktivist. Der Film ist nicht nur für sie wichtig, sondern möglicherweise auch bald für Sie in Europa, wo es ebenso erstarkende faschistische Gruppierungen gibt.

Die Dokumentarfilmregisseurin Hind Meddeb erhielt am Sonntag beim Internationalen Frauenfilmfest Dortmund/Köln für ihren französisch-tunesischen Film »Sudan, Remember Us« (2024) den Publikumspreis

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