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Aus: Ausgabe vom 11.04.2025, Seite 7 / Ausland
Großbritannien

Hamas klagt gegen Terrorliste

Organisation reicht Antrag in Großbritannien ein
Von David Siegmund-Schultze
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Juristischer Kampf: Hamas reichen Antrag bei britischem Innenministerium ein (London, 9.4.2025)

Die in Gaza regierende Hamas hat am Mittwoch gegenüber der britischen Regierung einen Antrag auf Streichung von der Liste terroristischer Organisationen gestellt. Darin sagt Musa Abu Marzuk, Chef für internationalen Beziehungen der Hamas, die Organisation sei keine terroristische Vereinigung, sondern »eine palästinensische islamische Befreiungs- und Widerstandsbewegung, deren Ziel es ist, Palästina zu befreien und dem zionistischen Projekt entgegenzutreten«. Man strebe die Gründung eines souveränen palästinensischen Staates innerhalb der Grenzen von vor 1967 an.

Laut Marzuk habe sich der Angriff vom 7. Oktober 2023 nicht gezielt gegen Zivilisten, sondern gegen militärische Ziele gerichtet. Eine ausführliche Untersuchung des Massakers durch »Human Rights Watch« (HRW) vom Juli 2024 kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass die Hamas an dem Tag schwere Kriegsverbrechen begangen habe, unter anderem das Töten und die Geiselnahme von Hunderten Zivilisten. Dass von Beginn des Angriffs an Zivilisten erschossen wurden, deute darauf hin, dass dies geplant und koordiniert gewesen sei, heißt es in dem Bericht.

Die die Hamas vertretende Anwaltskanzlei gab gegenüber dem Internetmagazin Drop Site News an, dass die Organisation nicht bestreite, gegen den britischen »Terrorism Act 2000« zu verstoßen. Dieser definiert Terrorismus als gewaltvolle Handlung, die darauf abzielt, eine Regierung oder die Öffentlichkeit zugunsten eines politischen Ziels zu beeinflussen oder einzuschüchtern. Doch nach dieser Definition sei auch das Handeln der israelischen, ukrainischen oder gar britischen Armee als Terrorismus einzuordnen, so die Anwälte. Außerdem schränke die Listung als Terrororganisation die Meinungsfreiheit ein, da sie zur juristischen Verfolgung von als der Hamas nahestehend definierten Personen führe. Da die Hamas die einzige Organisation sei, die militärischen Widerstand gegen den Genozid in Gaza leiste, verstoße die Listung zudem gegen die britischen Verpflichtungen aus der Völkermordkonvention.

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  • Leserbrief von Klaus Ludwig aus Bosserode (14. April 2025 um 14:34 Uhr)
    Am 11.4. macht in JW auf S. 7 (endlich) jemand das Fenster auf und durchlüftet die Räume vom Gestank des Terrorismus mit Blut und Tränen. Mit dem Begriff Terrorist ist eine automatische Stigmatisierung verbunden, die die Betroffenen aus der Gemeinschaft ausschließt und sie für vogelfrei erklärt. Schlimmer geht nimmer. Dabei ist es ein Instrument des US-Imperialismus und deutscher Klassenjustiz, zur Inkriminierung unliebsamer Bewegungen und Personen. Danach waren Ché Guevara und Fidel Castro Terroristen, ebenso wie Mandela oder Ho Chi Minh. Das ist vergessen. Heute morden USA und Israel täglich irgendwo auf der Welt Menschen, die sie auf Todeslisten mit Terroristen gesetzt und zum Abschuss freigegeben haben. In Deutschland sitzen zahllose Menschen in Zellen, nur weil sie irgendwelche vermeintlichen Beziehungen zu von deutschen Regierungen verbotenen Terrororganisationen unterhalten. Dazu zählen keine SS- oder SA-Fanatiker oder deren Erben, sondern politisch unliebsame Bewegungen oder befreundete Regierungen bekämpfende politische Parteien. Der Artikel macht wenigstens auf das Problem aufmerksam, auch wenn der Querverweis auf »Human Rights Watch« hier vollkommen unangebracht ist. Niemand hat das Mandat, andere zu Terrororganisationen oder Terroristen zu erklären, denn Terror ist kein neutraler Begriff und wird zudem für die Opfer am empfindlichsten von Staaten ausgeübt, nicht von Organisationen. Der Aufstand aus dem Warschauer Ghetto war kein Terror und der Anschlag Graf Stauffenbergs auf Hitler ebenso wenig. Hamas oder Hisbollah, PKK etc. sind im Unterschied zu IS oder Al-Qaida keine Terrororganisationen, denn sie organisieren das gesamte öffentliche Leben in ihren Einflusszonen und sind dort auch legitime Vertreter ihrer Klientel. Sie zu Terroristen abstempeln dient der Diskreditierung und Legitimierung ihrer Verfolgung, was niemals deutlicher wurde als jetzt beim Genozid im Gazastreifen. Die Hamas ist »eine palästinensische islamische Befreiungs- und Widerstandsbewegung«, was denn sonst? Das in Frage zu stellen führt zu Netanjahu und Trump, es zu attestieren ist keine Solidarisierung, sondern Respektierung der Rolle und Unterstützung, die sie im eigenen Volk genießt. Wenn niemand das Mandat hat, eine Organisation oder ihre Mitglieder zu Terroristen abzustempeln, hat auch niemand das Mandat, ihnen den Charakter Befreiungs- und Widerstandsbewegung abzusprechen. Wer meint, Geschichte untersage Humanisten Gewaltanwendung, hat den Grundgedanken von Marx nicht verstanden, dass die ganze Menschheitsgeschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen ist, Fortschritt sich aus Revolutionen (Befreiung!) und Widerstand ergibt. Gesellschaftliche Revolutionen sind niemals gewaltfrei, auch der Aufstand der Sklaven war gerechtfertigt, auch wenn er nicht proletarisch sein konnte. Linke, die den Widerstand des palästinensischen oder kurdischen Volkes diskreditieren, sind gar nicht links.

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